Ambient 02 - Heidern
beschäftigt«, entgegnete Thatcher. »Darum habe ich Avi damit beauftragt, persönlich das Original herzuschaffen. Er rief vorher an, und man sagte ihm, beim Nachsuchen hätt's nicht aufgefunden werden können. Er hat dann Jake mitgenommen. Sie haben's gefunden.«
»Jake hat ihn begleitet?« fragte Gus. »Davon hat er mir nichts erzählt …«
»Na ja, ich hatte ihn gebeten, nichts zu sagen, Gus. Angesichts der Situation ist Ihnen das bestimmt verständlich.« Thatcher gab mir das Original. »Ist halt 'ne wahre Schande, daß man das Schreiben nicht mehr so gründlich wie früher unterrichtet.«
»Dieser Arzt«, fragte Gus, »befindet sich jetzt in unserem Gewahrsam?«
»Nein …« Wenn Thatcher lachen mußte, gleichzeitig jedoch viel stärker das Bedürfnis verspürte, ein Pokerface zu bewahren, fing er mit den Füßen zu zappeln an, leitete er sein Vergnügen geradewegs in den Boden ab. Seine Schuhe wackelten gegen Bernards Familienreliquien, kippte sie um. »Ich erinnerte mich an die Vorderseite der News am Morgen nach Jensens kleinem Melodrama. Da stand was von der Art, das sich mir einprägt.« Auch ich entsann mich der Zeitung, die Susie an dem Morgen gelesen hatte; mir fiel das Foto unter der Schlagzeile STOSSZEIT wieder ein. Auf dem Weg zur Arbeit war eine Frau beim Überqueren der Fahrbahn zwischen geparkten Schuft-Shuttles und einem Panzer zerquetscht worden. Den Schnappschuß hatte jemand gemacht, während der Panzer weiterwalzte. »Wahrscheinlich hätte man den Unfall nicht auf der ersten Seite erwähnt, wäre diese Eule keine Ärztin gewesen.«
»War's ihre Unterschrift?«
Thatcher feixte. »Sie hatten sie höchstwahrscheinlich längst unter den Lappen gesetzt, noch bevor er eingeliefert worden ist. Ich bezweifle, daß sie überhaupt davon wußte. Ganz bestimmt hatte man schon alles vorbereitet, ehe sie eingeliefert wurde. Falls sie's gemerkt haben, dann haben sie wohl gehofft, 's würde niemandem auffallen. Sie und Jensen müssen zur gleichen Zeit in der Notaufnahme gelegen haben, bloß glaube ich kaum, daß sie viel miteinander plaudern konnten. Mit welchem Arzt, sagten Sie, hatten Sie gesprochen?«
»Einer Klinikärztin«, sagte Gus. »Dr. Lao. Eine junge Chinesin. Von ihr haben unsere Ärzte den Fall nach Einlieferung übernommen.«
»Nachdem die Halunken sich die Tinte von den Fingern gewaschen hatten, meinen Sie wohl. Übernommen haben sie ihn, ja, und als genug Zeit verstrichen war, ist Ihnen von denen weisgemacht worden, er sei gestorben. Die Ärztin bestätigt Ihre Darstellung, schön …«
»Ich brauche für meine Angaben niemandes Bestätigung.«
»Wir hatten 'n kurzen Plausch«, sagte Thatcher. »Übrigens habe ich sie jetzt bei uns eingestellt. Ich neigte schon zu der Ansicht, der ganze Beinahe-Todesfall wäre in Wahrheit 'ne Komödie gewesen, aber sie hatte bereits, während sie als Internistin gearbeitet hat, mit Fugu-Vergiftungen zu tun gehabt. Ein Toxiterrorist hat's in San Francisco verwendet, wo sie früher tätig gewesen ist. Sie sagte, sie sei schockiert gewesen, als sie hörte, daß Jensen sich nicht erholt, damit hätte sie nicht gerechnet, sagte sie mir.«
»Warum nicht?«
»Die Dosis sei, jedenfalls nach ihrer Meinung, zu schwach gewesen«, erklärte Thatcher. »Stark genug, um Probleme zu verursachen, war sie, klar. Sehen Sie, wenn man derartig abschmiert, fließt tendenziell zuwenig Blut ins Hirn. Dr. Lao sagte zu mir, wäre er lange genug in dem Zustand geblieben, hätte er wahrscheinlich bloß noch 'ne Lachnummer abgegeben. Aber wissen Sie, was ich glaube, zu was das, was mit ihm angestellt worden ist – egal wer's getan hat und aus welchem Grund –, geführt hat?«
Wir schüttelten den Kopf. Thatcher verfügte über ein angeborenes Talent für Nachforschungen und Recherchen, die sich nur selten von seinen alltäglichen Handlungen oder Zerstreuungen unterscheiden ließen.
»Er ist zombifiziert worden. So wie die Tontons Macoutes es mit ihren Gefangenen gemacht haben, bestimmt erinnern Sie sich.« Gus spitzte die Lippen, als ob er über solchen Praktiken stünde. »Fugu-Gift, jawohl. Von 'm karibischen Fisch.«
»Haitische Maschen sind selten übertragbar«, meinte Gus. »Das ist dort ein sonderbares Land.«
»So was aufzustellen, ist ein reichlich abartiges Kunststück, oder nicht?« fragte ich.
»Ich habe nicht behauptet, es wäre vorsätzlich gemacht worden«, sagte Thatcher. »Denkbar ist alles mögliche. Wahrscheinlicher ist, daß irgendwer einfach
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