Ambient 02 - Heidern
hier rumrennen, als wären Sie zu Hause.«
»Wir hatten keineswegs vor, Ihnen irgendwie Ärger zu verursachen …«
»Das hat nie wer vor. Wissen Sie eigentlich, wie leicht 's ist, wem in seinem Zustand 'ne Krankheit zu übertragen? Sie kreuzen hier mit Schnupfen auf, und er kriegt 'ne Lungenentzündung. Und was glauben Sie, wer dann damit die Lasten hat?«
»Es tut mir sehr leid«, sagte ich. »Wir gehen sofort …«
»Nicht so eilig. Ich sage bloß, man muß vorsichtig sein. Aber wenn Sie schon mal da sind, können Sie mir behilflich sein, ihn zu wenden.«
»Wieso muß er gewendet werden?« fragte Avi.
»Sogar auf diesen Spezialpolstern liegen sie sich wund, wenn man nicht aufpaßt. Läßt man sie zu lang in einer Stellung liegen, krümmen sie sich zusammen. Zum Schluß sehen sie aus wie 'ne Brezel. Dann muß man ihnen die Arme und Beine brechen, verdammt noch mal, um sie wieder auszustrecken. Also muß man sie täglich ein-, zweimal wenden.« Sie betrachtete den Patienten. »Na, da hat sich heute früh aber wer gefreut, mich zu sehen«, sagte sie, zog das Katheder heraus, löste auch die anderen Schläuche sowie die Kabel.
»Sind Sie die Stationsschwester?« fragte ich, las den Namen auf ihrem Schildchen, um sie namentlich anreden zu können und nicht lediglich wie mit einem Teil des Klinikbetriebs mit ihr umzuspringen. »Schwester Cordero?«
»Ich bin Pflegerin.« Sie entfernte, indem sie die Ader in Jensens linkem Arm von der intravenösen Zufuhr trennte, auch den letzten Schlauch. »Ich nehme seine Beine, Sie schieben die Hände unter ihn. Wenn ich ›jetzt‹ sage, wälzen wir ihn auf die rechte Seite. Klar?«
»Gebongt«, sagte Avi.
»Behandeln Sie ihn jeden Tag?« fragte ich.
»Die Behandlung geschieht durch die Ärzte, ich mache bloß hinter ihnen sauber. Hier oben die Runde zu drehen, ist meine einzige Gelegenheit, mal zu verschnaufen.«
»Hat es je dafür Anzeichen gegeben, daß er wieder zu Bewußtsein gelangt?«
»Nein. Er ist und bleibt hinüber. Manchmal zwinkert er, wenn's Licht flackert, aber unwillentlich, Sie wissen ja, wie's sich mit diesen PH verhält. Fertig? Schieben Sie die Hände richtig da hinunter. Ich möchte nicht, daß was Wichtiges gequetscht wird. So, jetzt!«
Jensen wurde umgeklappt wie ein Omelett. Seit er die Hand von Jensens Kopf zurückgerissen hatte, schwieg Lester. Er stand jetzt wieder an der Tür. Er hatte, wußte ich, etwas aufgeschnappt. Schwester Cordero machte sich daran, die Schläuche zu plazieren und die Kabel anzuklammern.
»Vor 'ner Woche oder so hatte ich 'n freien Tag«, erzählte sie. »Kurz nach seiner Einlieferung. Das Mädchen, das Dienst hat, wenn ich frei hab, erzählte mir, einmal hätte er was zu murmeln angefangen …«
»Hat sie erwähnt was?«
»Sie konnte nichts verstehen«, sagte die Schwester, brachte das Katheder so geschickt an, als schwänge sie eine Nähnadel. »Sie meldete dem diensthabenden Arzt, daß sie glaubte, möglicherweise käme der Patient zu sich. Noch ehe sie das Arztzimmer wieder verließ, rief er richtig besorgt irgendwen an, hat sie mir erzählt. Aber als ich am nächsten Tag die Schicht antrat, sah er für meine Begriffe genau wie vorher aus.«
»Welcher Arzt war das?«
»Eben der diensthabende, ich kann mich nicht erinnern. Hier ist einer so gut oder schlecht wie der andere.«
Nachdem sie ein letztes Kabel festgeklemmt hatte, legte die Schwester ein Päuschen ein, wischte sich mit der Handkante Schweiß von der Stirn. »Na, ich glaube, länger kann er Besuch nicht vertragen. Man weiß nie, wie das Drumherum sein Inneres beeinflußt.«
»Wie ist das gemeint?« fragte ich.
»Er muß frischgehalten werden. Sie wissen schon.«
»Frisch wofür?« fragte Avi sie.
»Recycling.«
»Wovon sprechen Sie?« hakte ich nach. »Recycling von was?«
»Was er hat«, sagte Schwester Cordero. »Sie haben behauptet, Sie sind vom Konzern, als müßten Sie doch Bescheid wissen. Heute früh ist die Genehmigung erteilt worden. Nächste Woche wird er auseinandergenommen und aufgeteilt.« Durch ein Nicken gab sie uns zu verstehen, daß wir das Zimmer mit ihr verlassen sollten. »Vielleicht ist Ihnen nicht ganz geläufig, wie das hier so abgewickelt wird«, ergänzte sie ihre Äußerungen. »Einige Fälle hier oben hält man, entsprechend den Umständen, in bestmöglicher Form. Von anderen läßt sich nichts mehr in Erfahrung bringen, egal wie lang sie bei uns liegen, und es werden ständig Neue eingeliefert. Wir verfügen ja nur
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