Ambient 02 - Heidern
Zimmer den Anschein, als wäre es in Bernstein eingegossen.
»Was ist in seinem Kopf?« fragte ich.
»Leichter ist zu sagen«, antwortete Lester, »was nicht drin ist.«
»Dann sag's!«
»Nichts was mit Japan oder 'm Burschen da, Otsuka, zu tun hätt. Nichts über Gus, außer 'n Eindruck von Überraschendem. Nichts über Familie oder sonst wem, der ihm mal nahgestanden haben könnt. Er hatte vor, Thatcher was zu erzählen. Ich konnt nicht genau erkennen was. Irgend was, das er gesehn hat. Ein Groll war in ihm, der für andres wenig Raum ließ. So negative Gefühle halten lang an.«
»Groll gegen wen?«
»Ein allgemeiner Groll«, sagte Lester. »In gewissem Maß gegen Bernard.«
»Was ist es denn gewesen, das er gesehen hat?« fragte ich. Lester saß inmitten eines diffusen Staubschleiers; es schien, als ob die Anstrengung des Erinnerns die Staubschicht aufwühlte.
»Du hast dich in der Klinik benommen, als hättest du dir an ihm die Finger verbrannt.«
»Manche Erinnerungen schmerzen mehr als andre.«
»Hast du festgestellt, was von ihm gesehen worden ist?«
Durchs Fenster drang, anscheinend aus einiger Entfernung, das Rumpeln eines Lastwagens oder anderen schweren Fahrzeugs herein, es näherte sich, fuhr vor, blieb stehen. Fahrzeugschläge knallten, während die Fahrer ausstiegen.
»Nur was übrig ist«, antwortete Lester. »Mir war's, als wär's 'ne neuere Erinnerung, sie liegt ziemlich dicht unter der Oberfläche, wahrscheinlich wollt er sie verdrängen, hat sich aber zuwenig bemüht. Er stand auf 'ner Hafenmauer oder 'ner Mole. Er sah Wasser und Schiffe, blickte auf 'n Schiff hinunter. Jemand hob 'n Lukendeckel …« Lester verstummte.
»Was noch?« bohrte ich. »Lester, erzähl's mir …«
»Durchsiebt man fremde Erinnerungen, kommt jede Menge Schlamm hoch«, sagte er. »Es folgte 'ne Unterbrechung, dann 'n andres Erinnerungsbild. Von Menschen. Wie sie aussahn, waren sie wohl tot. Danach hat er seine Gedanken, wie's mir vorkam, auf andere Dinge verlegt …«
Die Leute, die draußen geparkt hatten, kamen nicht ins Haus, glaubte ich, andernfalls hätten sie die Haustür längst vollends demoliert; ich hörte, wie man Wagenschläge wieder öffnete, und halblaute Unterhaltung, allerdings zu weit abseits, um verständlich zu sein. Kinder lachten, als wäre Schulschluß.
»Hängt das mit allem übrigen irgendwie zusammen?«
»Keine Frage.«
»Was war sonst ersichtlich?«
»Die Seele bleibt nur soundsolang im Körperlichen haften«, sagte Lester. »Später ist's, als buddelt man Knochen aus und versucht das Tier zu rekonstruieren, von dem sie stammen.«
Aus dem Leib schien mir den Kloß in den Hals heraufzuquellen, als ich aus dem Nebenraum ein Poltern hörte; als ich aufsprang, begriff ich, daß nur Avi es verursacht hatte, er leerte wohl Schubladen aus, um Jensens entbehrlichere Überbleibsel zügiger durchsuchen zu können. Lester blieb ungerührt sitzen, außer denen, die er zum Atmen benötigte, regte er keine Muskeln. In diesem Moment sah er aus, als stünde er so weit jenseits aller Aufmerksamkeiten, die ich ihm erweisen könnte, wie Jensen. Auf der Straße rief ein Kind etwas; ich ging zum Fenster, lugte neugierig hinaus. Spinnen fielen mir auf die Finger, während ich die modrig-muffigen Vorhänge beiseitezog und die von Staub schwärzlichen Läden aufstieß. Mitten auf der rückwärtigen Straße wendete gerade ein weißer Lieferwagen mit rotem Kreuz seitlich auf der Karosserie. Während der Wagen in südöstlicher Richtung davonfuhr, sah ich mir das Kreuz genauer an; wo dessen rotes Mittelteil in die Balken überging, klebte jeweils ein kleiner, gelber Kreis.
»Lester?« fragte ich; er gab keine Antwort. »Was ist dir?«
»Es liegt an der Zeit«, entgegnete er. »Sonst nichts. Geht's Avi gut? Er hat so unglücklich geguckt, als du seinen Vater erwähnt hast.«
»Sie sind zwei völlig verschiedene Menschen«, sagte ich, streckte zwei gespreizte Finger wie zu einem Sieges- oder Friedenszeichen in die Höhe. »Sie stammen aus verschiedenen Welten, das ist alles.«
»Sein Vater war in 'm Konzentrationslager?«
»Sein Vater, die erste Frau seines Vaters, ihre Kinder, die ganzen Familien«, zählte ich auf. »Avis Mutter hat er erst nach dem Krieg geheiratet. Er hat erzählt, seine hätten sich in einer Flüchtlingssammelzone kennengelernt …«
»So ähnlich passiert's den meisten Menschen, glaube ich«, meinte Lester. In diesem Augenblick kehrte Avi, die Hände mit Staub und Dreck
Weitere Kostenlose Bücher