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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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entzweigerissen.
    Treffer, sagte der Junge da, und Emmerich fing an zu weinen.
    Aber es war doch alles abgedunkelt, flüsterte Agnieszka. Sie hielt ihre Arme eng um ihren Bauch geschlungen. Marian drückte sein Gesicht gegen ihr Haar.
    Als der Lärm der Flugzeuge und das Heulen der Sirenen nach Stunden endlich verklungen waren, trauten sich die ersten, in den Hof zu gehen. Lilli und Emmerich blieben noch eine Weile im Keller.
    Nach den Ereignissen der Nacht fanden sich am nächsten Morgen nur wenige Kinder auf den Straßen, die meisten schliefen oder wurden von ihren Müttern in den Wohnungen gehalten. Emmerich nutzte den Moment, als seine Mutter mit dem Kopf auf dem Küchentisch eingeschlafen war, und lief hinaus auf die Straße. Überall roch es nach Verbranntem und Staub. Keiner von seinen Freunden war zu sehen. Er überlegte, wo er hingehen konnte, und da fiel ihm das Treffen ein, das tags zuvor vereinbart worden war. Kurz drehte er sich zum Küchenfenster um, und als er weder das Gesicht seiner Mutter noch das seiner Großmutter darin sah, machte er sich auf den Weg zu Hansi Bleckede. Er hatte ein schlechtes Gewissen wegen der grünen Murmel: Vielleicht, dachte er, würde er sie ihm zurückgeben, aber nur, wenn er ihn nie, nie wieder
klein
nannte.
    Als er schon beinahe Hansis Straße erreicht hatte, war alles voller Leute. Überall standen sie herum: Auf den Gehwegen, auf der Straße, sogar Polizisten waren da und Sanitäter, Leute, die Steine und Türen hin und her schleppten, und alles war dreckig und merkwürdig fremd. Emmerich zwängte sich an den Leuten vorbei. Als er ganz vorne ankam, sah er anstelle des Hinterhofs, in dem sie so oft mit Hansi und seiner kleinen Schwester gespielt hatten, einen Krater: so groß, dass sicher ein kleines Haus hineingepasst hätte. Die Druckwelle der Bombe hatte auch die Wohnhäuser rundherum getroffen, wie Kartenhäuser waren sie in sich zusammengefallen und hatten die Keller unter sich begraben. Ameisenhaft machten sich Dutzende von Männern an den Trümmern zu schaffen, ein paar Frauen am Straßenrand weinten. Eine von ihnen löste sich aus der Gruppe und kam auf Emmerich zu. Da erst bemerkte er, dass es eineBekannte seiner Mutter war. Schnell nahm er die grüne Murmel aus seiner Hosentasche und schnippte sie in den Krater. Dann lief er davon.
     

    Es wehte eine lauwarme Brise in der Nacht, als Rokas die Stadt zum Verschwinden bringen wollte. Schon auf dem Weg in die Innenstadt stand uns der Schweiß auf der Stirn, Albina stöhnte und knotete sich ihre Jacke um die Hüfte. Ich erfüllte meinen kleinen Vertrag mit mir selber und enthielt mich jeglichen Kommentars. Die gesamte Belegschaft der Wohnung – Albina, Renia und ich – hatte sich gegen ein Uhr morgens auf den Weg gemacht, um Rokas und die anderen vor Ort zu treffen.
    Immer wieder schoben sich Wolken vor den Halbmond, verharrten, trieben weiter. Die Schilder vor den Geschäften schwangen quietschend vor und zurück, ab und zu zuckte eine von uns zusammen, weil eine Tüte oder etwas Laub um eine Ecke getrieben wurde.
    Es ist nichts, es ist nichts, flüsterte Renia jedes Mal, und jedes Mal klang sie erstaunt und erleichtert zugleich.
    Kaum hatten wir die Pforte unseres Hinterhofs passiert, wurden auch die anderen von einer gewissen Anspannung befallen. Sie selber erklärten das mit dem Frühling, der in der Luft lag, dem warmen Wind, der den Menschen zu Kopf stieg und sie die merkwürdigsten Dinge tun ließ.
    Kurz bevor wir den Fluss überquerten und eine Wolke den Mond vollständig verdeckte, konnte ich mich nicht beherrschen. Meine Vertragstreue hatte keine zwanzig Minuten gedauert.
    So, jetzt ist die Stadt auch weg, sagte ich in die Dunkelheit hinein. Verschwunden. Genau wie nach dem Krieg. Schnell, mach ein Foto.
    Sehr witzig, sagte Renia, die mit der Dokumentation der Aktion beauftragt war. Du nimmst das Ganze überhaupt nicht ernst.
    Genau, sagte Albina. Noch kannst du nach Hause gehen, wenn du unbedingt willst.
    Ich spürte Renias Wärme neben mir und schüttelte meinen Kopf, was niemand bemerkte.
    War nur ein Scherz, antwortete ich schließlich. War doch bloß ein Scherz.
     
    Rokas wartete vor dem Brunnen. Außer uns war im Licht der Straßenlaternen vom Flussufer bis hinauf zum Rathaus niemand zu sehen.
    Wo ist Bartosz?, fragte Renia. Sie klang besorgt, was mich irritierte. Rokas wies mit seinem Kopf in eine Seitengasse, die am Rathaus vorbeiführte. Er sei hinten, bei den Lastwagen. Schon am Abend zuvor

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