Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
Geschlecht aus, um ihn zu einem Opfer wider Willen zu zwingen. »Wenn du so empfindest, Cyrus, mußt du selbstverständlich bleiben«, sagte sie. »Vergib mir, ich war aufgebracht. Jetzt fühle ich mich schon wieder besser.«
Sie tupfte sich mit einem zarten Taschentuch die Augen. Geistesabwesend tätschelte Vandergelt ihr die Schulter. Dann erhellte sich seine Miene.
»Ich habe es! Es ist gar nicht notwendig, eine solche Entscheidung zu treffen. In solchen Zeiten muß die Konvention den Notwendigkeiten weichen. Was sagst du dazu, Liebste – wirst du der Welt die Stirn bieten und sofort die Meine werden? Wir können in Luxor heiraten, und dann habe ich das Recht, Tag und Nacht an deiner Seite zu verbringen und – äh – das heißt, alle Zeit und an jedem Ort.«
»O Cyrus!« rief Lady Baskerville aus. »Es kommt so plötzlich. Ich sollte nicht … allerdings …«
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich, da ich erkannte, daß sie im Begriff war nachzugeben. »Ich glaube, Sie werden uns verzeihen, wenn wir nicht bei der Zeremonie anwesend sind. Wahrscheinlich bin ich in diesem Augenblick gerade mit einer Mumie beschäftigt.«
Aus heiterem Himmel sprang Lady Baskerville auf und warf sich mir zu Füßen. »Seien Sie nicht so streng mit mir, Mrs. Emerson! Kleingeister mögen mich vielleicht verurteilen. Aber ich hatte gehofft, daß Sie die erste sein würden, die mich versteht. Ich bin so allein! Werden Sie, eine Frau und Schwester, mich wegen einer altmodischen, sinnlosen Konvention verstoßen?«
Sie ergriff meine Hände, die immer noch den Toast hielten, und beugte ihr Haupt.
Entweder war diese Frau eine grandiose Schauspielerin oder sie litt tatsächlich. Nur ein Herz aus Granit hätte da kaltbleiben können.
»Aber, aber, Lady Baskerville. Sie dürfen sich nicht so gehenlassen«, sagte ich. »Sie beschmieren sich ja den Ärmel mit Marmelade.«
»Ich werde nicht aufstehen, ehe Sie nicht sagen, daß Sie meine Entscheidung verstehen und billigen«, erklang die gemurmelte Antwort aus meinem Schoß, wohin der Kopf der Dame gesunken war.
»Ich habe vollstes Verständnis für Sie. Bitte erheben Sie sich. Meinetwegen werde ich Ihre Brautjungfer oder Ihr Blumenmädchen sein oder Sie zum Altar führen; was immer Sie wollen. Wenn Sie nur aufstehen.«
Vandergelt schloß sich meinem Flehen an, und schließlich erklärte sich Lady Baskerville bereit, meine Hände und den zerbröckelnden Toast freizugeben. Während sie sich erhob, traf mein Blick den von Karl von Bork, der mit offenstehendem Mund die Szene beobachtete. »Diese Engländer!« murmelte er kopfschüttelnd. »Niemals werde ich sie verstehen!«
»Ich danke Ihnen«, seufzte Lady Baskerville. »Sie sind eine wirkliche Frau, Mrs. Emerson.«
»Sehr richtig«, fügte Vandergelt hinzu. »Sie sind ein famoser Kerl, Mrs. Amelia. Ich hätte diesen Heiratsantrag nicht gemacht, wenn die Situation nicht so verdammt verzweifelt wäre.«
Da flog die Tür auf, und Madame Berengeria kam hereingesegelt. Heute war sie in ein fadenscheiniges Baumwollgewand gehüllt, und ihre Perücke glänzte durch Abwesenheit. Ihr dünnes Haar, das ich zum erstenmal erblickte, war fast schlohweiß. Sie schwankte und suchte mit blutunterlaufenen Augen das Zimmer ab.
»In diesem Hause kann man ja verhungern«, sagte sie mit schwerer Zunge. »Unverschämte Dienstboten – ein schlampiger Haushalt –, wo ist das Essen? Ich verlange … Ach, hier bist du!« Ihr Blick richtete sich auf meinen Gatten, der seinen Stuhl zurückschob und kerzengerade und fluchtbereit dasaß. »Thut – Thutmosis, mein Geliebter!«
Sie stürzte auf ihn zu. Emerson glitt geschickt von seinem Stuhl, Berengeria stolperte und stürzte mit dem Bauch voran über die Sitzfläche. Selbst ich, die ich ziemlich hartgesotten bin, verspürte den Drang, meinen Blick von diesem ekelerregenden Schauspiel abzuwenden.
»Um Gottes willen«, sagte Emerson.
Die Berengeria rutschte auf den Boden, rollte sich herum und setzte sich auf. »Wo ist er?« fragte sie und musterte dabei das Tischbein. »Wo ist er hingegangen? Thutmosis, mein Geliebter und Gatte …«
»Ich glaube, ihr Mädchen ist mit den anderen Dienstboten davongelaufen«, meinte ich mutlos. »Am besten schaffen wir sie wieder in ihr Zimmer. Woher hat sie nur so früh am Morgen den Brandy?«
Das war eine rein rhetorische Frage, die niemand zu beantworten versuchte. Unter einiger Mühe hievten Karl und Vandergelt die Dame mit meiner Hilfe in eine aufrechte Stellung und
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