Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
antwortete er kühl. »Sorgen Sie sich nicht, es wird alles Menschenmögliche getan. Wenig genug, wie ich leider sagen muß. Pflichtest du mir nicht bei, Amelia?«
»Er liegt im Sterben«, sagte ich schonungslos. »Ich bezweifle, daß er jemals das Bewußtsein wiedererlangen wird.«
»Noch eine Tragödie!« Lady Baskerville rang die schmalen, weißen Hände, eine Geste, die die schlanke Schönheit dieser Gliedmaßen zur Schau stellte. »Ich kann es nicht mehr ertragen, Radcliffe. So sehr ich diese Entscheidung auch bedauere, muß ich mich dem Schicksal beugen. Die Expedition ist hiermit beendet. Ich möchte, daß das Grab heute verschlossen wird.«
Ich ließ meinen Löffel fallen. »Das können Sie nicht tun. Innerhalb einer Woche wird es völlig ausgeraubt sein.«
»Was kümmern mich Gräber und Räuber?« schrie Lady Baskerville. »Was sind antike Überreste, verglichen mit Menschenleben? Zwei Männer sind gestorben, einer ist dem Tode nah …«
»Drei Männer«, sagte Emerson ruhig. »Oder ist der Wachmann Hassan für Sie kein menschliches Wesen? Gewiß, er war nicht gerade ein Prachtexemplar, aber selbst wenn er das einzige Opfer gewesen wäre, würde ich mich trotzdem verpflichtet fühlen, seinen Mörder der Gerechtigkeit zuzuführen. Das beabsichtige ich zu tun, Lady Baskerville, und ich beabsichtige auch, die Ausgrabungsarbeiten zu beendigen.«
Lady Baskerville blieb der Mund offenstehen. »Das können Sie nicht tun, Radcliffe. Ich habe Sie angestellt, und ich kann …«
»Das glaube ich nicht«, antwortete Emerson. »Sie haben mich angefleht, den Auftrag zu übernehmen, und mir, wenn ich mich recht entsinne, gesagt, seine Lordschaft habe die nötigen Mittel zur Weiterführung der Arbeiten testamentarisch verfügt. Weiterhin habe ich Grebauts Genehmigung, die mich zum Leiter der Ausgrabungen macht. Oh, es könnte zu einem langwierigen, komplizierten Rechtsstreit kommen, nachdem alles gesagt und getan wurde. Aber« – und dabei funkelten seine Augen spitzbübisch – »ich streite mich gerne, ob vor Gericht oder anderswo.«
Lady Baskerville holte tief Luft. Ihre Brust schwoll zu einem besorgniserregenden Umfang an. Vandergelt sprang auf. »Verdammt, Emerson, wagen Sie es nicht, so mit dieser Dame zu sprechen!«
»Halten Sie sich raus, Vandergelt«, gab Emerson zurück. »Es geht Sie nichts an.«
»Den Teufel werde ich tun.« Vandergelt trat an Lady Baskervilles Seite. »Ich habe diese Dame gebeten, meine Frau zu werden, und Sie hat mir die Ehre erwiesen, meinen Antrag anzunehmen.«
»Ein bißchen plötzlich, nicht wahr?« fragte ich, während ich ein weiteres Stück Toast mit Marmelade bestrich (da ich den ganzen Tag und die ganze Nacht auf den Beinen gewesen war, hatte ich einen gehörigen Appetit entwickelt). »Nachdem Ihr Gatte erst vor weniger als einem Monat gestorben ist …«
»Selbstverständlich werden wir einen angemessenen Zeitraum warten, ehe wir unsere Verlobung bekanntgeben«, sagte Vandergelt schockiert. »Ich hätte es Ihnen nicht erzählt, wenn die Situation nicht so gefährlich wäre. Diese arme Frau braucht einen Beschützer, und Cyrus Vandergelt fühlt sich geehrt, diese Rolle übernehmen zu dürfen. Meine Liebe, ich glaube, du solltest diesen schrecklichen Ort verlassen und ins Hotel ziehen.«
»Dein Wunsch sei mir Befehl, Cyrus«, murmelte die Dame gehorsam. »Aber du mußt mich begleiten. Ich kann nicht fliehen und dich der Gefahr überlassen.«
»Richtig, Vandergelt, verlassen Sie das sinkende Schiff«, höhnte Emerson.
Ein verlegener Ausdruck huschte über das derbe Gesicht des Amerikaners. »Sie wissen doch, daß ich das nicht tun würde. Nein, Sir, Cyrus Vandergelt ist kein falscher Fuffziger.«
»Aber dafür ist Cyrus Vandergelt ein aufopferungsvoller Streiter für die Archäologie«, spöttelte Emerson. »Geben Sie’s doch zu, Vandergelt; Sie können sich nicht von hier losreißen, ehe Sie nicht wissen, was hinter dieser Wand am Ende des Ganges liegt. Wofür entscheiden Sie sich also, für den Himmel voller Geigen oder für die Ägyptologie?«
Ich lächelte leise in mich hinein, denn dem Amerikaner stand die Qual der Entscheidung deutlich ins Gesicht geschrieben. Dieses Zögern warf kein gutes Licht auf die zukünftige Braut (obwohl ich zugeben muß, daß Emerson angesichts eines ähnlichen Dilemmas wahrscheinlich ebenfalls gezögert hätte).
Lady Baskerville sah die Anzeichen des Kampfes im Gesicht ihres Verlobten, doch sie kannte sich zu gut mit dem männlichen
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