Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
als nützlich. Indem ich ihn den Leuten in der Menge in den Rücken stieß, bahnte ich mir einen Weg zu den Stufen. Einer der Korbträger kam gerade heraus. Ich begrüßte ihn überschwenglich. Er murmelte etwas und wich meinem Blick aus. Wieder meldete sich die Vorahnung. Doch noch ehe diese hysterische Ausmaße annehmen konnte, hörte ich das langersehnte Geräusch – Emersons Stimme, die gerade einen üblen, arabischen Fluch brüllte.
Wie ein seltsames Echo folgte darauf das sanfte Lachen eines Mädchens. Als ich in die Dunkelheit hinunterblinzelte, entdeckte ich Miss Mary, die auf einem Hocker am Fuße der Treppe kauerte. Sie muß sehr unbequem gesessen haben, denn sie hatte sich an die Wand gedrückt, um den Korbträgern einen Weg freizuhalten. Aber sie wirkte recht fröhlich; sie begrüßte mich mit einem schüchternen Lächeln und sagte leise: »Sicherlich ahnt der Professor nicht, daß ich ziemlich fließend Arabisch spreche. Bitte, sagen Sie ihm nichts; er braucht ein Ventil für seine Gefühle.«
Ich bezweifelte nicht, daß sie ihre verkrümmte Sitzhaltung in dieser Hitze als angenehme Abwechslung empfand, denn jede Tätigkeit, die ihre Mutter nicht einschloß, mußte ihr himmlisch vorkommen. Trotzdem erschien mir ihre Fröhlichkeit unter den gegebenen Umständen unangebracht. Ich wollte schon einen freundlichen Tadel äußern, als ihr hübsches Gesicht ernst wurde und sie weitersprach: »Es tut mir leid, daß Sie heute morgen ein so erschütterndes Erlebnis hatten. Ich habe es erst erfahren, als ich hier ankam. Aber ich versichere Ihnen, Mrs. Emerson, daß ich so gut helfen will, wie ich nur irgend kann.«
Diese Worte überzeugten mich, daß ich mich in meiner anfänglichen Einschätzung des Mädchens nicht geirrt hatte. Ihre Fröhlichkeit war einfach nur der Versuch, sich nach alter britischer Sitte nicht unterkriegen zu lassen. Also antwortete ich freundlich: »Sie müssen mich Amelia nennen, schließlich werden wir zusammenarbeiten. Ich hoffe, für eine lange Zeit.«
Sie wollte schon etwas erwidern, als Emerson herausgestürmt kam und mir befahl, mich an die Arbeit zu machen. Ich nahm ihn beiseite. »Emerson«, sagte ich leise, »es ist Zeit, daß wir etwas gegen dieses Gefasel über den Fluch unternehmen, anstatt es einfach zu ignorieren. So können wir nur verlieren. Jeder Vorfall wird als neues Zeichen einer feindseligen übernatürlichen Macht gedeutet werden, wenn …«
»Um Himmels willen, Amelia, halt jetzt keinen Vortrag«, fauchte Emerson. »Ich verstehe, worauf du hinauswillst; also mach einen konkreten Vorschlag, falls du einen hast.«
»Genau das wollte ich gerade tun, als du mich so unhöflich unterbrochen hast«, erwiderte ich gereizt. »Offenbar hat der Vorfall von gestern nacht die Männer verstört. Gönn ihnen ein oder zwei Tage Abstand vom Grab; schick sie auf die Suche nach Armadale. Wenn wir ihn finden und beweisen können, daß er für Lord Baskervilles Tod verantwortlich ist …«
»Wie zum Teufel können wir hoffen, ihn zu finden, wenn wochenlange Suche zu nichts geführt hat?«
»Aber wir wissen, daß er vor weniger als zwölf Stunden hier war, gewissermaßen vor unserer Türschwelle! Hassan hat ihn selbst gesehen, nicht seinen Geist. Armadale muß letzte Nacht zurückgekehrt sein und Hassan umgebracht haben, damit man ihn nicht entdeckt. Oder vielleicht hat Hassan versucht, ihn zu erpressen …«
»Mein Gott, Amelia, kannst du nicht versuchen, deine blühende Phantasie ein wenig zu zügeln? Ich gebe zu, daß das, was du sagst, möglich ist. Es ist mir – selbstverständlich als eine Erklärung unter vielen – auch schon eingefallen …«
»Bis zu diesem Augenblick hast du überhaupt nicht daran gedacht«, meinte ich entrüstet. »Du willst nur die Lorbeeren für meine …«
»Warum sollte ich den Wunsch haben, die Lorbeeren für so eine verrückte, an den Haaren herbeigezogene …«
»Sprich bitte etwas leiser.«
»Ich spreche niemals laut!« brüllte Emerson. Ein gespenstisches Echo hallte aus den Tiefen des Grabes zurück, als ob der Geist des Königs sich dagegen wehrte, aufgeweckt zu werden.
»Dann wirst du meinen Vorschlag nicht annehmen?«
Emersons Stimme senkte sich zu einem dumpfen Grollen. »Ich bin hierher gekommen, um Ausgrabungen durchzuführen, Amelia, nicht um Sherlock Holmes zu spielen; eine Rolle, für die du dich, worauf ich dich hinweisen muß, ebensowenig eignest wie ich. Falls du mir helfen willst, mach dich an die Arbeit. Wenn nicht, geh
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