Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
aufwirbelte, und seine schauerlichen Schreie hätten in Verbindung mit der nebligen Aura, die ihn umgab, ein abergläubisches Herz in Angst und Schrecken versetzt. Er jagte zwar in unsere Richtung, doch kam er dabei immer weiter von unserem Pfad ab. Also schwenkte ich meinen Sonnenschirm und lief ihm entgegen, wobei ich einen Weg nahm, der den seinen kreuzen mußte.
Es gelang mir, ihn abzufangen, denn ich hatte den Schnittpunkt unserer beider Wege richtig berechnet. Da ich ihn nur zu gut kannte, versuchte ich gar nicht erst, ihn durch eine Berührung oder mit sanftem Griff aufzuhalten. Statt dessen warf ich mich mit meinem ganzen Körpergewicht gegen ihn, so daß wir beide zu Boden stürzten. Wie ich geplant hatte, lag Emerson unter mir.
Nachdem er wieder zu Atem gekommen war, hallte die in Mondlicht getauchte Landschaft erneut von seinem Gebrüll wider, das nun jedoch gänzlich irdisch klang und fast ausschließlich mir galt. Ich machte es mir auf einem Stein bequem und wartete, bis er sich wieder beruhigt hatte.
»Das ist zuviel«, meinte er und setzte sich auf. »Nicht nur, daß jeder Nörgler und religiöser Eiferer in Luxor es auf mich abgesehen hat, nun wendet sich auch noch meine eigene Frau gegen mich. Ich habe jemanden verfolgt, Amelia – ich war ihm ganz nah auf den Fersen! Ich hätte den Schurken erwischt, wenn du dich nicht eingemischt hättest.«
»Ich versichere dir, das hättest du nicht«, sagte ich. »Außer dir war niemand zu sehen. Zweifellos hat er sich zwischen die Felsen verkrochen, während du schreiend herumgerast bist. Wer war es?«
»Habib vermutlich«, erwiderte Emerson. »Ich habe bloß flüchtig einen Turban und ein flatterndes Gewand gesehen. Hol’s der Teufel, Amelia, ich hätte fast …«
»Und ich wäre beinahe zu Mr. Milvertons Beichtmutter geworden«, sagte ich mit gehöriger Erbitterung in der Stimme. »Er war kurz davor, mir das Verbrechen zu gestehen. Ich wünschte nur, du würdest endlich lernen, diesen jugendlichen Überschwang im Zaum zu halten, der dich dazu verleitet, erst zu handeln und dann erst …«
»Das schlägt doch dem Faß den Boden aus!« schrie Emerson. »Überschwang ist noch viel zu freundlich für den unausrottbaren Dünkel, der dich glauben läßt, du …«
Bevor er diese beleidigende Bemerkung zu Ende führen konnte, stießen unsere Begleiter zu uns. Aufgeregte Fragen und Erklärungen folgten. Dann machten wir uns wieder auf den Weg, wobei Emerson widerstrebend einräumte, daß es sinnlos sei, die Verfolgung eines Menschen fortzusetzen, der schon längst verschwunden war. Er setzte sich an die Spitze unseres Zugs, wobei er sich die Hüfte rieb und demonstrativ hinkte.
Erneut fand ich mich an Mr. Milvertons Seite. Als er mir den Arm bot, sah ich, daß er nur mühsam ein Lächeln unterdrücken konnte.
»Ich habe wider Willen einen Teil Ihrer Unterhaltung mit angehört«, begann er.
Ich versuchte, mich zu erinnern, was ich gesagt hatte. Mir fiel ein, daß ich von einem Geständnis gesprochen hatte. Doch aus Milvertons weiteren Worten ging, wie ich erleichtert feststellte, hervor, daß er diesen Teil des Gesprächs nicht gehört hatte.
»Ich möchte ja nicht unverschämt sein, Mrs. Emerson, doch das Verhältnis zwischen Ihnen und dem Professor fasziniert mich. War es wirklich notwendig, ihn zu Boden zu stoßen?«
»Natürlich. Nichts außer körperlicher Gewalt kann Emerson bremsen, wenn er in Wut gerät, und wenn ich ihn nicht aufgehalten hätte, wäre er solange weitergerannt, bis er über einen Felsabhang gestürzt oder mit dem Fuß in einer Spalte steckengeblieben wäre.«
»Ich verstehe. Er schien Ihre Besorgnis um seine Sicherheit nicht – äh – zu schätzen.«
»Ach, das ist so seine Art«, sagte ich. Emerson, der immer noch unbeholfen und nicht sehr überzeugend humpelte, war nicht weit vor uns, doch es fiel mir nicht ein, deswegen leiser zu sprechen. »Wie alle Engländer hat er Hemmungen, in der Öffentlichkeit seine wahren Empfindungen zu zeigen. Privat jedoch, versichere ich Ihnen, ist er der zärtlichste und liebevollste …«
Das war zuviel für Emerson; er drehte sich um und rief: »Beeilt euch, ihr beiden. Warum trödelt ihr so herum?«
Reichlich verärgert gab ich endgültig die Hoffnung auf, daß Milverton mich noch einmal ins Vertrauen ziehen würde. Als wir den kurvigen und gefährlichen Weg hinabstiegen, ergab sich keine Gelegenheit zu einem privaten Gespräch. Wir waren nur noch ein kurzes Stück vom Haus entfernt und
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