Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
Formalitäten sparen, die ich ohnehin für überflüssig halte.« Er setzte sich.
»Setzen Sie sich doch!« forderte Emerson ihn auf.
»Ich sitze doch schon. Ach, ich hätte gern auch eine Tasse Tee, wenn Sie keinen Kaffee haben.«
»Selbstverständlich«, sagte Emerson, während er ihm die Tasse reichte. Ich erwartete jederzeit die unvermeidliche Explosion. Je länger Emersons Freundlichkeit dauerte, desto fürchterlicher würde sie ausfallen. »Falls ich Sie richtig verstanden habe, läuft Miß Charity mit einem Federmesser als Waffe herum?« fragte er harmlos. »Dies ist ein friedliches Land, und ich bezweifle, daß sie mit einer solchen Waffe überhaupt umgehen kann.«
»Aber sie kann sie gegen sich selbst richten«, gab Bruder Ezekiel zurück. »Und genau das soll sie tun, falls ein Mann jemals Hand an sie legen sollte!«
»Gott!« rief ich. »Wir leben doch nicht im Mittelalter!«
»Nun, das einzige, was eine Frau besitzt, ist ihre Unschuld. In diesem Fall ist glücklicherweise nichts geschehen, aber bevor ich meine Schwester mit nach Hause nehme, möchte ich noch sagen, was ich zu sagen habe.«
»Erleichtern Sie sich«, forderte Emerson ihn auf.
»Es betrifft den christlichen Friedhof, den Sie ausgegraben haben, Professor. Sie werden Ihre Arbeiten einstellen müssen. Diese Menschen waren zwar Abtrünnige, aber trotzdem Christen, und wir müssen ihre Gräber respektieren.«
Wieder erwartete ich die Explosion, aber wieder blieb sie aus. Nur Emersons Augenbraue zog sich in die Höhe. »Abtrünnige?«
»Ja, Monophysiten«, sagte Bruder Ezekiel. »Sie betrachteten die göttliche und menschliche Natur Christi als eine Einheit, was nach dem Konzil von Chalcedon im Jahr 451 jedoch als Irrlehre eingestuft wurde. Danach trennten sich die koptische, die äthiopische und die syrische und armenische Kirche von der Großkirche. Sie sind also Abtrünnige, aber trotzdem als Christen zu betrachten, und ich verlange, daß Sie ihre Gräber unberührt lassen!«
Das Zwinkern in Emersons Augen war einem gefährlichen Glitzern gewichen, so daß ich beschloß einzugreifen. »Ich fürchte, Ihre Schwester wird ohnmächtig werden. Wenn Sie nichts unternehmen, werde ich es tun. Kommen Sie, Charity, setzen Sie sich!«
Charity setzte sich, doch Bruder Ezekiel erhob sich. »Los, Mädchen, eine Dienerin Gottes fällt nicht in Ohnmacht. Ich habe gesagt, was ich sagen mußte. Jetzt können wir gehen.«
»Noch nicht«, sagte Emerson, »denn ich habe noch nicht gesagt, was ich zu sagen habe, Mr. Jones …«
»Bruder Ezekiel, Sir.«
Emerson schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich nicht. Sie können nicht von mir erwarten, Sie so zu nennen. Sie sind nicht mein Bruder, aber immerhin ein Mensch, und ich fühle mich verpflichtet, Sie zu warnen. Sie haben sich im Dorf bereits viele Feinde gemacht, und ich fürchte, daß das Feuer der letzten Nacht nicht das einzige Zeichen dieser Unzufriedenheit bleiben wird.«
Bruder Ezekiel hob seine Augen zum Himmel. »Falls mir die Krone des Märtyrertums bestimmt ist: Herr, mache mich ihrer würdig!«
»Wenn er nicht ein so unterhaltender Idiot wäre, würde ich ärgerlich werden«, brummte Emerson und sagte dann: »Aber, Sir! Sie tun doch Ihr Möglichstes, um den Priester gegen sich aufzubringen. Sie stehlen ihm seine Herde …«
»Ich errette sie vor dem Höllenfeuer«, erklärte Ezekiel. »Sie sind alle verdammt …«
Jetzt steigerte sich Emersons Stimme zu einem lauten Brüllen. »Sie mögen vielleicht verdammt sein, aber Sie werden eines Tages tot sein! Ein Überfall auf eine Missionsstation ist durchaus denkbar. Sie können über diese Gefahr denken, wie Ihnen beliebt, aber es ist unverantwortlich, das Leben Ihrer unschuldigen Bekehrten und Ihrer Schwester zu gefährden.«
»Gottes Wille wird geschehen«, sagte Ezekiel.
»Zweifellos«, stimmte Emerson zu. »Hauen Sie lieber ab, Sie Wahnsinniger, bevor ich Sie hinauswerfe! Miß Charity, falls Sie Hilfe brauchen sollten, stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung. Ein Wort an John oder irgendeinen Boten genügt.«
Erst jetzt stellte ich fest, daß die sanftmütige Art, die Ezekiel an den Tag legte, nichts als Fassade gewesen war, die durch Emersons Ausbruch zusammengebrochen war. Plötzlich war Ezekiels Miene düster und haßerfüllt, doch noch bevor er seiner Wut Luft machen konnte, ertönte ein bedrohliches Knurren. Ich sah mich suchend um, weil ich annahm, daß Ramses den Löwen aus dem Käfig gelassen haben könnte, aber ich mußte
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