Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
schnurrend auf Emersons Tisch und beobachtete seine Arbeit aus ihren schmalen Augenschlitzen.
»Ich fürchte, ich muß bald nach Kairo fahren«, bemerkte ich in die Stille.
Emerson warf seinen Federhalter weg. »Ich wußte, daß so etwas kommen würde, Peabody! Ich verbiete dir ganz ausdrücklich, dich wieder im Basar herumzutreiben und nach Mördern zu suchen! Gerade ist alles zur Ruhe gekommen, und ich möchte nicht, daß …«
»Emerson, ich kann wirklich nicht verstehen, weshalb du alle diese Dinge sagst! Ich muß einkaufen, das ist alles! Wir haben unsere sämtlichen Pantoffeln dem Löwen vorgeworfen, und mein Medizinvorrat muß dringend ergänzt werden.«
»Wenn du nicht so freigebig damit umgingst, wärest du jetzt nicht in dieser Lage.«
Unsere kleine Meinungsverschiedenheit entwickelte sich gerade bestens, als wir plötzlich von einem lauten Ruf von draußen gestört wurden. Seit dem Einbruch in den Lagerraum hatte Abdullah sich selbst zu unserem Wächter ernannt und schlief, abwechselnd mit seinen Söhnen, dicht neben unserer Tür im Hof. Diese Geste hatte mich tief gerührt, um so mehr, als ich wußte, daß Abdullah keineswegs davon überzeugt war, daß Emerson alle Geister gebannt hatte.
Als er uns rief, liefen wir beide zur Tür und sahen, daß sich zwei Reiter näherten. Im Licht der Fackel, die Abdullah hoch über unsere Köpfe hielt, erkannte ich rasch, daß wir nichts zu befürchten hatten. »Es sind der Reverend und Mr. Wilberforce!« rief ich. »Welche Überraschung!«
»Ich bin nur überrascht, daß sie erst jetzt kommen«, brummte Emerson. »Während der letzten drei oder vier ruhigen Tage hatte ich schon fast daran geglaubt, jetzt endlich ungestört arbeiten zu können.«
»Wir haben heute morgen in Dahschûr angelegt«, erklärte der Reverend, nachdem sie abgestiegen und uns begrüßt hatten. »Den Nachmittag haben wir mit de Morgan verbracht, und da wir schon morgen weiterfahren wollen, haben wir beschlossen, noch heute abend herüberzukommen.«
»Wie reizend von Ihnen«, sagte ich und versetzte Emerson einen Rippenstoß, um ihn von gegenteiligen Äußerungen abzuhalten. »Willkommen in unserem bescheidenen Heim!«
»So bescheiden nun auch wieder nicht«, meinte der Amerikaner, während er sich beifällig umblickte. »Wirklich, Mrs. Amelia, Sie verstehen es, auch aus der windigsten Hütte ein Heim zu gestalten! Guter Gott!« Er sprang zurück, bevor der Löwe seinen Fuß erwischen konnte. Als ich die quastengeschmückten Gamaschen bemerkte, konnte ich dem armen Tier nicht einmal böse sein.
Trotzdem nahm ich den Löwen und band seine Leine an einem Tischbein fest, damit Mr. Wilberforce sich auf seinem Stuhl am anderen Ende des Zimmers sicher fühlen konnte. Beiläufig erkundigte sich Mr. Sayce: »Ist das vielleicht der kleine Löwe, der der Baronin davongelaufen ist?«
»Ramses hat ihn gefunden«, erklärte ich. Wenn es irgend möglich ist, halte ich mich gern an die Wahrheit. Diese Aussage war zumindest nicht falsch, und es war unnötig zu erwähnen, wo genau Ramses den Löwen gefunden hatte.
Danach wandte sich die Unterhaltung de Morgans Grabungsergebnissen zu, und Emerson brütete nur vor sich hin. »Ohne Zweifel«, berichtete Sayce, »wurde die südliche Ziegelpyramide von König Amenemhet III. aus der zwölften Dynastie erbaut. De Morgan hat eine Reihe Gräber aus dieser Periode entdeckt und unser Wissen über das Mittlere Reich wesentlich erweitert.«
»Wie wunderbar«, sagte ich.
Danach schleppte sich die Unterhaltung mühsam weiter, und nicht einmal der Reverend wagte es, Emerson nach dem Fortgang seiner Arbeiten zu fragen. Schließlich meinte Mr. Wilberforce: »Um die Wahrheit zu sagen, liebe Freunde, sind wir nur gekommen, um uns von Ihrem Wohlergehen zu überzeugen. Wir waren ein wenig besorgt.«
Emerson sah beleidigt drein. »Guter Gott, Wilberforce! Trauen Sie mir nicht zu, daß ich auf mich und meine Familie aufpassen kann?«
»Aber es hat sich doch so einiges zugetragen«, verteidigte sich Mr. Wilberforce. »Wir haben gehört, daß in die Dahajibe der Baronin eingebrochen worden ist, und bevor wir Kairo verließen, haben wir Mr. David Cabot getroffen, der uns von dem Anschlag auf die Missionsstation berichtet hat.«
»Einen Anschlag kann man das wohl nicht nennen«, meinte Emerson. »Einige unzufriedene Leute haben ein Feuer hinter der Kapelle angezündet, aber selbst wenn das Gebäude zerstört worden wäre, wäre wahrscheinlich niemandem etwas
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