Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
durchschaut.«
»Gestern nacht?« Ihr schlanker Hals schoß wie der einer angriffsbereiten Kobra vor. »In der … Wahyat ennebi! Sie waren das?«
»Ich war das«, sagte ich ruhig. »Sie haben meine Verkleidung nicht durchschaut.«
»Dann hat er sie dorthin mitgenommen. Oder Ihnen zumindest erlaubt …«
Aufgrund plötzlicher Helligkeit mußte ich meine Augen bedecken. Als ich meine Hand senkte, bemerkte ich, daß sie eine Öllampe angezündet hatte. Diese stand so, daß ihr Lichtstrahl direkt auf mein Gesicht fiel, und mir war schlagartig klar, warum sie mir genau diesen Schemel angeboten hatte.
Sie musterte mich schweigend und, wie mir schien, überaus lange. Ich blieb bewegungslos sitzen und ließ es über mich ergehen. Mir war bewußt, was sie sah – keine weichfließenden Locken, keinen perfekten Körper und auch kein außergewöhnlich schönes Gesicht; allerdings hatte ich schon vor meinem Besuch erkannt, daß ich mich in dieser Hinsicht nicht mit ihr messen und einen Sieg davontragen konnte. Ich versuchte es erst gar nicht.
Schließlich entwich ihren Lippen ein leises, zischendes Geräusch – ein Auflachen oder vielleicht ein verachtendes Schnauben. »Er hat Sie dorthin mitgenommen«, wiederholte sie nachdenklich. »Mir war zu Ohren gekommen … Aber es fiel mir schwer, das zu glauben. Nun, Sitt Hakim, Gattin des berühmten Effendi Emerson – Sie haben mich gefunden. Sie beehren mein armseliges Haus. Was wollen Sie von mir, der unwürdigsten aller Sklavinnen?«
Ich ignorierte diese zweifellos ironische Bemerkung und leitete mein kurzes, zuvor sorgfältig durchdachtes Gespräch ein. »Ich will Ihre Hilfe, Miss – äh – Madam Ayesha, um einen Mörder zu stellen. Ihnen ist sicherlich bekannt, daß einer Ihrer Landsleute unter dem Verdacht verhaftet wurde, Mr. Oldacre ermordet zu haben?«
»Ich weiß«, bestätigte sie.
»Und Ihnen ist ebenfalls bekannt, daß Ahmet unschuldig ist.«
»Das wiederum weiß ich nicht. Wie sollte ich das wissen?«
»Ach, kommen Sie, meine Liebe – das heißt, Madam Ayesha. Wir wollen keine Haarspalterei betreiben. Wir wissen beide, daß die Polizeibeamten, ihres Zeichens auch nur Männer, nicht sonderlich intelligent sind. Allerdings können sie nicht so beschränkt sein, einen armseligen Wurm wie Ahmet für den Täter zu halten. Das ist lediglich ein Trick von ihnen. Ich habe über die Sache nachgedacht und bin zu dem Schluß gelangt, daß der einzige Grund, warum >er gebeten wurde, ihnen bei ihren Ermittlungen behilflich zu sein<, wie sie sich ausdrücken, darin besteht, daß sie irgendeine Person – oder mehrere Personen – innerhalb der ägyptischen Gemeinschaft verdächtigen, in den Mordfall verwickelt zu sein. Ahmet ist ein Betrogener, ein Lockvogel oder ein möglicher Informant.«
Ihre dunklen Augen auf mein Gesicht fixiert, hörte sie mir konzentriert zu. Als ich innehielt, um ihr eine Antwort zu ermöglichen, reagierte sie nur spröde. Schließlich murmelte sie: »Das ist möglich. Aber was hat das mit mir zu tun? Ich habe von diesen Stümpern vom Scotland Yard nichts zu befürchten. Ich habe einflußreiche Freunde.«
»Dessen bin ich mir sicher. Aber Freunde wenden sich gelegentlich ab, wenn Gefahr oder Ehrverlust droht. Die Aktivitäten der Polizei werden zumindest Ihre – äh – Geschäfte durchkreuzen, wie es letzte Nacht bereits der Fall war. Mittlerweile bin ich mir sicher, daß der Mörder kein Ägypter, sondern Engländer –«
»Was? Wieso glauben Sie das?«
»Sie stellen zwar Fragen, antworten aber nicht, Sitt.« Jetzt sprach ich arabisch. »Ich glaube, Sie wissen mehr, als Sie zugeben. Wie könnte es Ihnen entgangen sein, was mit Ihren eigenen Landsleuten geschieht, obgleich Sie wohlhabend und einflußreich sind?«
Sie setzte sich auf, schlang ihre Beine übereinander und stützte ihr Kinn auf ihrer schmalen Hand auf. »Ich weiß wirklich nichts von dieser Sache. Sie werden mir nicht glauben –«
»Wenn Sie die Wahrheit sagen, Sitt, dann möchte ich Ihnen ernsthaft vorschlagen, Nachforschungen anzustellen – in Ihrem eigenen Interesse. Gemeinsam können wir eine ganze Menge erreichen. Als Frauen – dazu Frauen von bemerkenswerten Fähigkeiten auf ihrem jeweiligen Gebiet –«
Ihr kurzes, zischendes Auflachen – denn das war es wohl – unterbrach mich. »Sie stellen uns beide auf eine Stufe, Sitt Hakim? Sie müssen es wirklich sehr nötig haben, daß Sie zu einem solchen Mittel greifen.«
Ȇberhaupt nicht; ich sage Ihnen
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