Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
Obwohl es unwahrscheinlich schien, bedurfte die Frage meiner Meinung nach der Klärung, und ganz offensichtlich war Lord Liverpool die geeignete Informationsquelle. Er hatte mich zu einem Besuch aufgefordert; warum sollte ich seiner Einladung nicht Folge leisten? Und während meines Aufenthalts nach einer Kiste Ausschau halten, die vielleicht Uschebtis enthalten hatte.
9. Seine Lordschaft war Opiumkonsument. »Welche Opiumhöhle frequentierte er? Waren er und sein Freund die von dem Mann im Streifenwagen erwähnten Ungläubigen?«
Entschlossen schrieb ich in die Rubrik WAS IST ZU TUN: »Ayesha fragen.«
10
Die Dichter schwärmen ständig von den Wohltaten des Schlafes, den sie »als Labsal, als schönste Sache der Welt« bezeichnen und der »die Seele erfrischt« et cetera, et cetera. Ich persönlich habe ihn immer als lästige Zeitverschwendung betrachtet. Es gibt soviel Interessantes zu tun, daß es ein Jammer ist, ein Drittel des Tages in einem Zustand der Bewußtlosigkeit zu verbringen. Trotzdem erwachte ich am nächsten Morgen erfrischt und etwas positiver gestimmt. Meine kleine, schriftlich fixierte Aufstellung hatte für einen klaren Kopf gesorgt und mir mehrere sinnvolle Nachforschungsansätze aufgezeigt. Während ich darüber grübelte und festzulegen versuchte, welchem ich als erstes nachgehen wollte, drehte sich Emerson im Bett um und legte seinen Arm um mich.
Er schlief noch. Seine Bewegung war instinktiv, gewohnheitsmäßig und unbewußt gewesen. Das also war aus unserer Ehe geworden? Für ihn nichts weiter als eine langweilige Gewohnheit? Ein Stöhnen entwich meinen Lippen. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, schlüpfte ich aus dem Bett.
Erst nachdem ich meine Liste überflogen hatte, fiel mir ein, daß ich an diesem Tag gar nichts tun konnte. Ich hatte den Kindern versprochen, zu Ehren von Percys Geburtstag mit ihnen auszugehen, und ich hatte keinesfalls die Absicht, mein Versprechen zurückzunehmen, da ich auch gegenüber Kindern immer Wort halte. Trotzdem war es ein herber Schlag. Darf ich gestehen, welche Überlegung meine Frustration linderte? Ich schäme mich, es zuzugeben, aber das ändert vermutlich nichts an der Sachlage. Es war die Erkenntnis, daß Emerson das noch härter treffen würde als mich.
Allerdings ließ ich ihn zunächst sein Frühstück einnehmen, denn ich bin – selbst im Zustand der Verärgerung – keine hinterhältige Person. Sogleich verschwand er hinter der Zeitung und sprach erst, als Percy fragte: »Onkel Radcliffe, Sir – wann sollen wir ausgehfertig sein?«
»Wohin wollt ihr denn?« fragte Emerson, über den Zeitungsrand spähend.
Ich erklärte es ihm. »Es geht um Percys Geburtstag, Emerson. Ich versprach, zur Feier des Tages einen kleinen Ausflug mit den Kindern zu unternehmen.«
Emersons Gesicht verdunkelte sich. » Du versprachst? Aber, Peabody –«
»Sie haben noch keine einzige Sehenswürdigkeit in ganz London besucht, Emerson. Selbst wenn es sich nicht um einen besonderen Anlaß handelte, sollten wir ihnen die historischen und kulturellen Bauwerke ihrer Landeshauptstadt näherbringen. Deine Anwesenheit, Emerson, würde dieses Vorhaben wesentlich erleichtern und wäre für uns alle ein Gewinn.«
»Oh«, bemerkte Emerson. »Nun, in dem Fall, Peabody … Wohin möchtet ihr denn?«
»Ins Britische Museum«, erwiderte Ramses prompt.
Als ich Percys Gesichtsausdruck bemerkte, sagte ich: »Das gefällt dir vielleicht, Ramses, und ich bin sicher, auch deinem Papa würde das zusagen, aber Percy hat die Wahl. Schließlich hat er Geburtstag. Wie hast du dich entschieden, Percy?«
»Natürlich bin ich mit dem einverstanden, was du für das beste hältst, Tante Amelia. Wenn es dir allerdings nichts ausmacht … Als wir voriges Jahr in London waren, hat uns Papa zu Madame Tussaud's mitgenommen. Das war lustig! Ich glaube, Ramses würde es auch gefallen, wenn er noch nie dort war.«
Emerson starrte seinen Neffen an. Dann hellte sich sein Gesicht auf, und er schmunzelte. »Schon möglich. Aber was ist mit deiner Schwester, mein Junge? Einige der Exponate –«
»Natürlich werden wir das Horrorkabinett auslassen«, sagte ich. »Die historischen Szenen sind recht lehrreich. Ramses verbringt ohnehin zuviel Zeit mit seinen makabren Hobbys; es wird ihm guttun, etwas über die neuere Geschichte zu erfahren.«
»Irgendwas Modernes und Erbauliches wie die Französische Revolution«, bemerkte Emerson und lachte. »Zwang die Revolutionsregierung Madame nicht, die
Weitere Kostenlose Bücher