Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
nicht erklären. Ist irgend etwas passiert?«
»Ob irgend etwas … passiert …« Ich drückte beide Hände gegen seinen Brustkorb und versetzte ihm einen festen Stoß. Emerson taumelte gegen die Tür; sein breites Grinsen erzürnte mich noch mehr. »Wie kannst du es wagen, mich das zu fragen?« schrie ich und ballte meine Hände zu Fäusten. »Wie kannst du es wagen, dieses Haus ohne jede Erklärung zu verlassen, stundenlang wegzubleiben, das Abendessen zu versäumen und mich in Angst und Schrecken zu versetzen?«
»Das klingt schon besser«, bemerkte Emerson. Mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtete er, wie ich unter der melodischen Begleitung meiner klappernden Utensilien auf und ab schritt. Einen Augenblick später meinte er: »Und wohin wolltest du, Peabody? Denn ich nehme nicht an, daß du dich komplett bekleidet und bis an die Zähne bewaffnet zur Ruhe legen wolltest.«
Abrupt blieb ich stehen. Wie typisch für diesen Mann, dachte ich erbittert, bleibt so lange weg, bis er die schlimmsten Befürchtungen erweckt hat – und taucht dann gerade noch rechtzeitig auf, um meine Pläne zu durchkreuzen. Wäre er fünf Minuten später eingetroffen, hätte ich das Haus bereits verlassen.
»Ich wollte dich suchen«, murmelte ich.
»Ist das wahr, Peabody?« Er eilte zu mir und schloß mich in seine Arme. »Meine geliebte Peabody …«
Das Leben, werter Leser, trägt gelegentlich ironische Züge. Genau die Umarmungen, zu denen ich ihn ermutigt hatte – und die ich selbstverständlich begrüßte –, entlarvten meinen Vorwand. Denn der verfluchte Brief, den ich in eine meiner Rocktaschen gesteckt hatte, raschelte aufgrund von Emersons Umarmung. Meine Erklärung hatte ihm gefallen und geschmeichelt, seine Zweifel aber nicht völlig ausgeräumt – denn Emerson ist weder dumm noch naiv. Bevor ich ihn davon abhalten konnte, hatte er die Mitteilung aus ihrem Versteck gezerrt und war soeben dabei, sie zu lesen.
»Von wem stammt das, Amelia?« fragte er in ruhigem Ton.
»Weißt du es denn nicht, Emerson? Kannst du es nicht erraten?«
»Ehrlich gesagt, nein. Keiner meiner Bekannten schreibt ein so scheußliches Ägyptisch.« Er bemühte sich, ruhig zu bleiben, doch das Zucken seiner Kinnmuskulatur zeugte von seinem Kampf, nicht laut zu werden. Ich wandte mich von ihm ab; seine stahlharten Finger umklammerten meine Schultern und wirbelten mich zu ihm herum.
»Du wolltest mich gar nicht suchen. Wie, zum Teufel, hättest du das auch anstellen sollen? Wo würdest du mich in diesem Tollhaus von Stadt denn …«
»Na, was vermutest du? Wo sonst? Dort hätte ich mit meinen Nachforschungen begonnen; glücklicherweise hat sie mir die Mühe erspart.«
»Sie?« Emerson lockerte seine Umklammerung. Er warf mir einen fast ehrfürchtigen Blick zu. »Wie hättest du denn wissen können …«
»Ich sah, wie du in ihr Haus gingst, Emerson. Nicht nur einmal, sondern zweimal. Das zweite Mal beobachtete ich es vom Park aus; hast du etwa angenommen, der einfältige Bart und ein Korb voller Fische könnten mich irreführen?«
»Fische!« entfuhr es Emerson. »Fische? Fische …« Es dämmerte ihm; seine verkrampfte Gesichtsmuskulatur und die zusammengekniffenen Brauen entspannten. »Ayesha! Du sprichst von Ayesha. Stammt diese Nachricht von ihr?«
»Willst du damit sagen, es gibt noch eine andere?« kreischte ich.
Emerson schenkte mir keine Beachtung. Jetzt schritt er aufgebracht durch den Raum und stieß abgehackte Satzfetzen vor. »Dann ist sie bereit zu reden. Aber warum sollte sie … Mitternacht, sagte sie. Wie trivial und langweilig … Amelia! Du hattest doch nicht etwa vor, auf diese erfindungsreiche Einladung zu reagieren, oder? Ein solcher Hohlkopf könntest du doch nicht sein! Oh, verflucht, natürlich könntest du das. Du würdest hingehen!«
»Ich könnte, würde und werde hingehen«, erwiderte ich, während ich meiner Empörung und Verärgerung Herr zu werden versuchte. »Und ich muß umgehend aufbrechen.«
Emerson blieb stehen. »Es ist eine Falle, Amelia.«
»Wie kannst du das wissen? Falls es sich allerdings so verhält, ist es um so wichtiger, daß ich verfrüht eintreffe. Der strategische Vorteil –«
»Halt mir keine Vorträge, zum Teufel!«
»Emerson, bitte!«
»Verzeihung, Peabody.« Emerson strich über sein Kinn. »Sie hat natürlich recht«, knurrte er. »Und ich kann sie nicht davon abhalten. Es sei denn …«
Seine Augen suchten mein Gesicht; sein berechnender Blick und das (sicherlich)
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