Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
worden war, daß sich Ölspuren auf meinen Fingern abzeichneten, nachdem ich mich an deren Riegel versucht hatte.
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Ich wartete, bis das Personal das Abendessen einnahm; dann schlich ich mich aus dem Haus. Zu Gargery hatte ich kein Vertrauen. Vielleicht hatte ihm Emerson sogar befohlen, mich am Verlassen des Anwesens zu hindern. (Nicht, daß ihm das gelungen wäre, aber ich wollte jede Auseinandersetzung vermeiden.) Es erfüllte mich mit tiefem Bedauern, daß ich Gargery nicht gefragt hatte, wo ich eine kleine Pistole erwerben konnte. Er schien sich in solchen Dingen auszukennen. Allerdings hatte ich meinen Werkzeuggürtel und meinen Schirm bei mir, das mußte genügen.
Die Dunkelheit war hereingebrochen, und es stimmte mich optimistisch, daß der Himmel verhangen war. In feuchten Schwaden umhüllte der Nebel die Bäume im Park; zweifellos würde er sich lichten, wenn wir aus London herausfuhren, aber vielleicht stieg dann Flußnebel hoch. Das hoffte ich inständig.
Die Fahrt dauerte lange, und während die Droschke über die belebten Straßen holperte, ging ich meine Pläne durch. Den Brief an Inspektor Cuff hatte ich mit dem Hinweis auf dem Tisch in der Eingangshalle deponiert, daß er umgehend weitergeleitet werden solle. Ich hatte meine Waffen. Ich hatte die hilfreiche Kraft der berechtigten Verärgerung in mir – und die Erwartungshaltung, in Kürze dem Individuum gegenüberzustehen, das mir alles bedeutete.
Ich fragte mich, wie zum Teufel Emerson darauf gestoßen war. Er hatte Ayeshas Schilderung nicht gehört, und ich hatte den entscheidenden Satz nicht wiederholt, da er mir zu jenem Zeitpunkt bedeutungslos erschienen war. Wie konnte Emerson also wissen, daß am heutigen Abend eine solche Zeremonie stattfand? Vielleicht wußte er es gar nicht. Vielleicht war er auf der Suche nach dem Beweis dorthin gefahren, den er (und auch ich) zur Untermauerung seiner Theorie brauchte. Aber er war nach Mauldy Manor gefahren, dessen war ich mir so sicher, daß ich ihm gefolgt war. Das war der einzig logische Ort, um zu eruieren, was mir bei der Aufklärung des Falles noch fehlte.
Ungefähr zwei Stunden vor Mitternacht wies ich den Droschkenkutscher an, mich in sicherer Entfernung vor den Toren des Anwesens herauszulassen. Vermutlich kann man es ihm nicht verdenken, wenn er das Schlimmste annahm. Eine einsame, in einen schwarzen Kapuzenumhang gehüllte Frau, die auf einer Landstraße unweit des Hauses eines Mannes von zweifelhaftem Ruf aussteigen will, muß fragwürdige Motive haben. Die Bemerkung, die mir der Kutscher zum Abschied hinterherrief, hat keinen Bezug zur gegenwärtigen Schilderung.
Der Mond und die Sterne verbargen sich hinter dunklen Wolken, und der Nebel lag wie eine weiße Decke über dem Fluß. Als ich vorsichtig zum Tor schlich, durchzuckte ein feuerroter Lichtstrahl den Himmel, und entferntes Donnergrollen kündigte seine Ankunft an. Ein Unwetter braute sich zusammen.
Die hell erleuchteten Fenster des Pförtnerhäuschens hielten mich vom Tor fern. Um diese Uhrzeit war es ohnehin verschlossen – insbesondere, wenn die von mir erwarteten Aktivitäten stattfanden –, außerdem wollte ich unbemerkt bleiben. Eine Zeitlang tastete ich mich an der Mauer entlang, bis ich eine Stelle fand, wo ich diese mit Hilfe eines langen, herunterhängenden Astes überwinden konnte. Der verfluchte Umhang verfing sich ständig in irgendwelchen Dornen und Zweigen, trotzdem wagte ich nicht, ihn abzulegen. Darunter trug ich eine meiner nützlichen Arbeitsgarderoben, und obwohl deren Farbe der Dunkelheit angepaßt war, hätte mich meine prägnante Silhouette (wie Emerson häufig bemerkte) eindeutig als Frau verraten.
Im Licht der zuckenden Blitze, die aufgrund des nahenden Unwetters immer häufiger und greller am Himmel erstrahlten, schlich ich mich von Baum zu Baum und durch das Gebüsch über die riesige, einsame Rasenfläche. Ich hatte mit Hunden gerechnet und war erleichtert über meine Fehleinschätzung, auch wenn ich es seltsam fand, daß ein junger Schloßherr diese Tiere nicht als Wach- oder Schoßhunde hielt. Mir fiel ein, was Emerson über die Vorliebe Seiner Lordschaft zu Katzen gesagt hatte, und mich durchzuckte ein Schauer des Unbehagens. Energisch konzentrierte ich mich auf andere Dinge. Ich war auf das Schlimmste vorbereitet; es hatte keinen Sinn, schon im Vorfeld darüber zu grübeln.
Der Park wirkte völlig verlassen und bot kein Anzeichen auf irgendwelche Lebewesen. Wenn ich es nicht besser gewußt
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