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Amelia Peabody 05: Der Sarkophag

Amelia Peabody 05: Der Sarkophag

Titel: Amelia Peabody 05: Der Sarkophag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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und irrationalen Glaubens? Kurzes, schallendes Gelächter ist die einzig mögliche Reaktion auf eine solche These.
    Und doch, werter Leser, und doch … An einem Punkt meines Lebens sah ich mich gezwungen, an den prophezeienden Charakter von Träumen zu glauben, da sich eine solche Vision schließlich bis ins letzte, gräßliche Detail bewahrheitete. Ich behaupte nicht, daß das immer der Fall ist. Wie von einigen Wissenschaftlern jetzt (zum Zeitpunkt meiner Niederschrift) dargelegt, kann es aber gut sein, daß Träume andere, vielfach verdrängte Elemente – wie unterschwellige Negativerinnerungen, unterdrückte, widernatürliche Wünsche und so fort – reflektieren. Ich bin nie dogmatisch; mein Verstand ist immer offen für neue Ideen, so unwahrscheinlich und unaussprechlich sie auch sein mögen.
    Doch genug des philosophischen Exkurses. Müßig zu erwähnen, daß ich in jener Nacht träumte: eine Vision von solch grauenvollem Entsetzen, daß mich allein der Gedanke daran noch Jahre später erschauern ließ.
    Ich kauerte in der modrigen Dunkelheit und wußte nicht, wo ich war. In meinem Rücken befand sich eine kalte Steinwand, und auch meine nackten Fußsohlen spürten kaltes Gestein. Zunächst war es vollkommen still. Dann ertönte wie aus weiter Ferne ein Laut, so schwach, als wäre es das Pulsieren meines eigenen Blutes. Das Geräusch wurde zunehmend lauter. Es entpuppte sich als monotoner und feierlicher Gesang. Und dann – dann gefror mir besagtes Blut in den Adern, denn ich kannte diesen gräßlichen Singsang.
    Lichter begleiteten den Gesang, und es wurde zunehmend heller. Das Licht entstammte Fackeln, die ich zunächst nur als eine langsam voranschreitende Prozession entfernter, glühender Punkte wahrnahm. Sie kamen näher; die Dunkelheit wich gräßlicher Helligkeit.
    Ich stand – oder kauerte – auf einem hohen Sims über einer riesigen, in das nackte Felsgestein gemeißelten Kammer. Die spiegelglatten Wände reflektierten und vervielfachten das Licht der Fackeln. Diese wurden von weißgewandeten Gestalten getragen, deren Gesichter scheußliche Masken zierten – Krokodil und Falke, Löwe und Ibis vermittelten den Anschein von Realität. Die Kammer erstrahlte zu gleißender Helligkeit, als die Fackelträger ihre Plätze rings um einen niedrigen Altar einnahmen, der von einer Monumentalstatue beherrscht wurde. Es handelte sich um Osiris, den Herrscher der Unterwelt und Totenrichter; wie bei einer Mumie war sein Körper kunstvoll in Bandagen gehüllt, seine Arme vor der Brust gekreuzt, seine Hände trugen Krummstab und Geißel. Seine hohe weiße Krone und die hellen Alabasterschultern standen im Kontrast zu dem schwarzen Gesicht und den schwarzen Händen (so stellten sich die heidnischen Ägypter ihre Gottheiten vor – ein interessantes und bislang ungeklärtes Phänomen).
    Langsamen Schrittes folgte den Fackelträgern der Hohepriester. Im Gegensatz zu seinen kahlgeschorenen Untergebenen trug er eine riesige und sorgfältig frisierte Lockenperücke. Die Maske, die sein Gesicht verbarg, trug menschliche Züge – das erstarrte Antlitz der Toten. Außer einem entsetzten Aufschrei des Wiedererkennens schenkte ich dieser Erscheinung wenig Beachtung; denn hinter ihm bemerkte ich eine mir vertraute Gestalt, welche nackte Sklaven auf einer Sänfte trugen.
    Sie hatten ihn in Ketten gelegt, gegen die sich seine sehnigen Muskeln vergeblich auflehnten. Seine entblößten Arme und seine Brust glänzten aufgrund der Salbung mit Öl und des Kampfschweißes wie polierte Bronze; er fletschte die Zähne, und seine Augen sprühten Blitze. Aber selbst seine grenzenlose Auflehnung konnte ihm nicht helfen; während sich die tiefen Stimmen bei ihrer gräßlichen Beschwörung hoben und senkten, zerrten ihn brutale Hände von der Trage und warfen ihn auf den Altar. Der Hohepriester trat vor, das Opfermesser in seiner Hand. Und dann – oh, dann, mein Herzschlag setzt noch heute aus, wenn ich daran denke – blickten die saphirblauen Augen des zum Tode verurteilten Mannes dorthin, wo ich wie angewurzelt stand, und erspähten mich selbst in der Finsternis; und seine Lippen formten ein Wort …
    »Peabody! Peeeeea-body …«
    »Emerson!« kreischte ich.
    »Was zum Teufel ist mit dir los?« wollte Emerson wissen. »Du hast gegrunzt und gequiekt wie ein hungriges Ferkel.«
    Das weiche Licht eines Frühlingssonnenaufgangs erhellte sein liebenswertes, unrasiertes Gesicht und das zerzauste Haar, seine schlaftrunkenen Augen und das

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