Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
nicht mögen, wenn man ihnen widerspricht, weshalb ich auch nur im äußersten Notfall zu diesem Mittel greife. Und hier handelte es sich nicht um einen Notfall.
»In Der Mondstein «,sagte ich, »gibt es eine Szene, in der beschrieben wird, wie drei geheimnisvolle indische Priester eine Zeremonie durchführen. Sie gießen eine Flüssigkeit in die Hand eines kleinen Kindes …«
»Verdammt«, murmelte Emerson.
»Sobald ich dieses interessante literarische Werk sah, wußte ich, daß nicht Amenit – die nur über äußerst schlechte Englischkenntnisse und, wie ich befürchte, sehr begrenzte geistige Fähigkeiten verfügt –, sondern Tarek das Buch geschenkt bekommen hat. Wie Amenit der Band in die Hände fiel, weiß ich nicht; aber sie muß ihn Reggie gegeben haben, um ihm den Tod seines Onkels glaubhaft zu machen. Und nun hör mir gut zu, Emerson.«
»Ich werde es versuchen, Peabody, obwohl es meinen schwachen Geist überfordert. Doch ich gebe mir Mühe.«
»Es ist eine simple Gleichung, Liebling. Tarek hat Der Mondstein gelesen. Der Freund der rekkit schickte uns als Erkennungszeichen ein anderes Buch, und zwar durch Mentarit, die, wie wir erfahren haben, Tareks Schwester ist. Ich war mir nicht ganz sicher«, gab ich ehrlich zu, »doch alle Hinweise deuten in die gleiche Richtung.«
Eigentlich hatte ich meinen Besucher als Tarek erkannt, sobald er … Nun, lassen Sie es mich einmal so ausdrücken. Ich wußte, daß der junge Mann, dessen Körper so schwer auf meinem gelastet hatte, keiner der kleinen unterernährten Sklaven sein konnte. Als Tarek sich noch als Kemit ausgegeben hatte, hatte ich genug Gelegenheit gehabt, seinen bewundernswerten Körperbau – selbstverständlich nur unter ästhetischen Gesichtspunkten – in Augenschein zu nehmen. Es gibt eine gewisse Ausstrahlung … Der werte Leser wird sicherlich verstehen, warum ich diesen Hinweis meinem Gatten gegenüber lieber nicht erwähnte.
»Hmmm«, brummte besagter Gatte. »Wieder ins Schwarze getroffen, Peabody. Alle Achtung.«
»Gute Nacht, Emerson.«
»Gute Nacht, Liebling.«
Schlaf, wohltuender Schlaf, der einen von allen Mühen und Sorgen erlöst.
»Peabody.«
»Mein Gott, Emerson! Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Ist dies das Buch, das Mentarit dir gegeben hat?«
»Wenn du es auf oder unter dem Bett gefunden hast, muß es das wohl sein«, antwortete ich gereizt. »Ich gebe zu, ich hätte es verstecken sollen. Aber ich war so überrascht, daß ich es einfach fallengelassen habe.«
»Weißt du, was das für ein Buch ist?«
»Nein, woher denn? Es war so dunkel, daß ich den Titel nicht lesen konnte.«
Schweigend reichte Emerson mir das Buch, dessen Einband im bleichen Morgengrauen fahl schimmerte.
» König Salomons Minen «,las ich. »Von H. Rider Haggard.«
»Ich hätte es gleich wissen sollen«, meinte Emerson mit Grabesstimme.
»Was hättest du wissen sollen?«
»Woher Tarek seine hochtrabende Ausdrucksweise und seine sentimentalen Anwandlungen hat. Er klingt genau wie einer der verdammten Eingeborenen in diesen vermaledeiten Büchern.« Mit einem Stöhnen, das aus tiefstem Herzen kam, sank Emerson in die Kissen zurück. »Da hat Forth ja etwas Schönes angerichtet.«
»Daran trägt er keine Schuld«, sagte ich.
»Was meinst du damit?«
»Dieses Buch wurde erst nach Mr. Forths Verschwinden veröffentlicht. Ich habe mir in diesem Jahr ein Exemplar mitgenommen, weil es eins meiner liebsten … wirklich, da steht ja mein Name. Ich habe es zurückgelassen, als wir uns unseres Gepäcks entledigen mußten. Tarek muß es eingesteckt haben.«
Es war heller geworden. Emerson wandte mir sein müdes Gesicht zu. »Warum?« fragte er entgeistert. »Warum würde er so einen verd … verflixten Unsinn machen?«
»Nun, es war schlau von ihm, ausgerechnet dieses Buch als Erkennungszeichen zu benutzen. Wenn es gefunden worden wäre, hätte es jeder für meines gehalten. Aber ich befürchte …«
»Was?«
»Ich befürchte, er hat es aus einem sehr einfachen Grund mitgenommen«, sagte ich. »Er wollte es lesen. Wenn man genauer darüber nachdenkt, Emerson, ist es rührend. Dieser intelligente und feinfühlige junge Mann, der von seinem Lehrer in die Freuden des Lesens und die Schönheit der Literatur eingeführt worden ist …«
Emersons Bemerkung werde ich hier nicht wiedergeben; sie war seiner nicht würdig.
Ich hatte gehofft, daß Amenit lange schlafen und uns in Ruhe lassen würde, doch sie trat frisch und munter in aller Früh
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