Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
zufällig bemerkt, welcher Wachmann der tolpatschigste war?«
»Nein, zum Teufel. Ich war damit beschäftigt, anderen ein Bein zu stellen.« Emerson machte ein finsteres Gesicht. »Das ist das Problem bei Verschwörungen. Man hat einfach nicht die Zeit, die Angelegenheit in Ruhe zu erörtern. Wenn Tarek sich nur die Mühe gemacht hätte, uns zu verraten, wem wir trauen können …«
Heftig biß er in das Brot. Ich betrachtete die kleine Frau, die mir den Becher nachschenkte. Hatte sie nicht ein Geräusch – so leise wie das Summen einer Biene oder das Schnurren einer Katze – von sich gegeben, als Tareks Name gefallen war? Ich zweifelte nicht daran, auf wessen Seite sie stand, aber ich wollte sie nicht gefährden, indem ich sie ansprach. Sicherlich gab es auch unter den rekkit Spitzel. Die Wankelmütigeren unter ihnen zu bestechen, damit sie ihr eigenes Volk verrieten, war gewiß ein Kinderspiel. Denn für einen Verhungernden stellt bereits ein Laib Brot einen unermeßlichen Reichtum dar.
»Gut, daß wir heute vormittag Gelegenheit zu einem erfrischenden kleinen Ringkampf hatten«, meinte ich zu Emerson, als wir Arm in Arm um den Lotusteich schlenderten. »Denn anscheinend werden wir in Zukunft nicht mehr viel Gelegenheit bekommen, uns Bewegung zu machen.«
Amenit war mit einer neuen Belegschaft kleiner Diener zurückgekommen, die noch kläglicher und bedrückter dreinblickten als ihre Vorgänger. Ich zweifelte nicht daran, daß ihren Familien mit den schrecklichsten Strafen gedroht worden war, falls sie versuchen sollten, uns zu helfen.
Emerson hatte unsere neuen Bewacher sofort auf die Probe gestellt, indem er sich schnurstracks zur Pforte begab und begehrte, daß man ihn hinausließ. Er kehrte mit der im Grunde erwarteten Nachricht zurück, sein Vorhaben sei gescheitert; »seine« Männer ständen nicht länger Posten. »Ich hoffe nur, daß ihnen nichts geschehen ist, Peabody. Dieser ekelhafte junge Widerling ist in der Lage, jeden zu ermorden, den er für unseren Freund hält.«
»Du verstehst nicht, was in Nastasen vorgeht, Liebling«, sagte ich. »Im Augenblick ist er ganz obenauf und kann sich ungehindert seiner Lieblingsbeschäftigung widmen, nämlich seine Mitmenschen zu piesacken. Ich wette, er hat als Kind Schmetterlingen die Flügel ausgerissen. Er würde keinen unserer Freunde umbringen, ohne uns vorher holen zu lassen, damit wir zusehen. Und ganz sicher wirst du als erster erfahren, ob Tarek wieder gefangengenommen wurde.«
»Ich halte nichts von dieser neumodischen Psychologie«, knurrte Emerson. »Sie ist nichts weiter als Unsinn, vermischt mit einer Portion altbewährtem gesundem Menschenverstand. Hast du seit Amenits Rückkehr schon Gelegenheit gehabt, mit ihr zu sprechen?«
»Noch nicht. Das Mädchen ist nicht sehr intelligent, Emerson. Ich würde sie nie an einer Verschwörung teilnehmen lassen, wenn diese unter meiner Leitung stünde. Sie hätte sich verplappert, wenn ich sie nicht daran gehindert hätte. Ich hielt es für das beste, so zu tun, als kennte ich ihre wahren Absichten nicht.«
»Ganz richtig. Vermutlich hat sie Tarek verraten.«
»Ganz sicher hat sie bemerkt, daß wir uns letzte Nacht nicht in unseren Zimmern befanden. Für jemanden, der angeblich Wein mit Betäubungsmittel getrunken hat, war sie heute auffällig munter. Bestimmt hat sie Nastasen oder Pesaker – wahrscheinlich letzteren, denn er ist als einziger klug genug, um den offensichtlichen Schluß zu ziehen – gewarnt, daß wir mit einem Mitglied der gegnerischen Partei Verbindung aufgenommen hatten. Ich hätte als Leiterin des Unternehmens vor den Zimmern von Tareks mutmaßlichen Anhängern und natürlich auch vor Tareks Palast einen Hinterhalt gelegt. Daß wir auf unserem Rückweg nicht aufgehalten wurden, weist darauf hin, daß sie wahrscheinlich nicht wissen, wie wir unsere Räume überhaupt verlassen konnten.«
»Oder wo wir waren.«
»Ich hoffe inständig, daß es sich so verhält.« Ich wischte mir eine Träne ab. »Das arme, tapfere Kind! Diese Nachricht wird ein schrecklicher Schlag für sie sein. Ganz sicherlich fühlt sie sich entsetzlich einsam und fürchtet sich. Wenn wir ihr nur sagen könnten, daß sie den Mut nicht verlieren und uns und Gott vertrauen soll.«
»Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge«, meinte Emerson, wobei er sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte. »Kopf hoch, Peabody. Vielleicht können wir ihr eine Nachricht zukommen lassen, wenn Mentarit zurückkehrt.«
»Falls sie
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