Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
spricht«, unterbrach Emerson. Er wandte sich an mich. »Guter Gott, Peabody! Kannst du dir das vorstellen? Vier Friedhöfe in nur ein paar Monaten! Und jetzt plündert er den Tempel und sammelt Objekte für sein verd … sein heißgeliebtes Museum. Zum Teufel, wir müssen sofort dorthin! Ich werde ihn vertreiben, ehe er noch mehr Schäden anrichten kann, oder ich will von heute an nicht mehr …«
»Aber, aber, Emerson, hast du dein Versprechen vergessen?« wandte ich erschrocken ein. »Du wolltest doch einen Bogen um Mr. Budge machen.«
»Verdammt, Peabody …«
»Pyramiden, Emerson. Du hast mir Pyramiden versprochen.«
»Richtig«, knurrte Emerson. »Nun gut, Peabody. Wohin soll es gehen?«
Slatin hatte unser Gespräch mit offenstehendem Mund mitangehört. »Sie treffen die Entscheidungen, Mrs. Emerson?«
Emerson runzelte die Stirn. Er ist ein wenig empfindlich, wenn er glaubt, man könne ihn für einen Pantoffelhelden halten. Doch ehe er antworten konnte, sagte ich würdevoll: »Mein Gatte und ich haben dieses Thema bereits ausführlich erörtert. Wir hatten uns doch auf Nuri geeinigt, nicht wahr, Emerson?«
Eigentlich war es keine schwere Entscheidung. Nur eines hätte mich von Nuri fernhalten können, nämlich die Information, daß Budge sich dort befand. Nuri hatte einige Vorteile. Zuerst einmal lag es fünfzehn Kilometer von der Garnison entfernt. So war es zwar umständlich, Vorräte zu beschaffen, dafür aber machte die Entfernung unangenehme Begegnungen mit Mr. Budge und Angehörigen der Armee weniger wahrscheinlich. Außerdem vermutete ich nach meiner Lektüre der Berichte von Lepsius und anderen, daß es sich bei den Gräbern in Nuri um die ältesten und somit interessantesten handelte. Möglicherweise stammten sie aus der Zeit der nubischen Eroberung Ägyptens im Jahre 730 vor Christus. Zudem waren sie solider gebaut und bestanden aus massivem Stein und nicht nur aus einer Gesteinsschicht über einem Kern aus losem Geröll.
»Mir ist es gleichgültig«, meinte Emerson gereizt.
So wurde entschieden, daß wir am folgenden Morgen aufbrechen würden, wodurch mir der Rest des Nachmittags blieb, um Einkäufe zu tätigen und Arrangements für unsere Reise zu treffen. Slatin sagte uns, der Weg durch die Wüste würde auf Kamelen etwa zwei Stunden in Anspruch nehmen. Doch er empfahl uns, ein Boot zu nehmen, obwohl das länger dauerte. Wegen der Verheerungen, die die Rebellen angerichtet hatten, waren Kamele schwer aufzutreiben, und zuallererst hatte die Armee Anspruch auf sie.
Nachdem ich ihn als Gentleman und Wissenschaftler um Hilfe gebeten hatte, versprach er, alles Menschenmögliche für uns zu tun. Männer sind für Schmeicheleien sehr empfänglich, vor allem wenn man sie mit kleinen Seufzern und Wimpernklimpern untermalt. Glücklicherweise brütete Emerson immer noch über Mr. Budges Sünden nach und mischte sich nicht ein.
Erst am Nachmittag des folgenden Tages brachen wir dann endlich auf. Das Säubern der Kamele hatte länger gedauert als erwartet. Wo Yussuf sie bekommen hatte, wagte ich nicht zu fragen. Aber jedenfalls machten die Tiere einen kläglichen Eindruck. Ganz offensichtlich war ihnen nie Pflege des Offiziers zuteil geworden, der bei der Armee die Kamele versorgte. Mit diesem Gentleman führte ich ein sehr interessantes Gespräch. Er leitete eine Art Klinik für kranke Kamele draußen vor dem Lager, und zu meiner Zufriedenheit teilte er meine Auffassung in punkto Tierpflege. In Ägypten hatte ich mit den Eseln ähnliche Schwierigkeiten gehabt. Die armen Tiere wurden schändlich überladen und vernachlässigt, so daß ich es mir zur Gewohnheit gemacht hatte, die Esel und ihre schmutzigen Satteldecken zu waschen, sobald sie meiner Obhut unterstellt wurden. Captain Griffith gab mir freundlicherweise einige seiner Tinkturen und Medikamente mit, die sich als sehr wirksam erwiesen. Allerdings wissen Kamele nicht immer, was gut für sie ist. Und Yussufs Tiere waren von den Waschungen nicht eben begeistert. Der Umgang mit Eseln war mir inzwischen vertraut, aber ein Kamel zu waschen, stellt eine um einiges kompliziertere Prozedur dar. Das hängt einerseits mit der Größe des hochbeinigen Zweihöckers und andererseits mit seinem äußerst reizbaren Temperament zusammen. Nach einigen vergeblichen Versuchen, bei denen alle Beteiligten – bis auf das Kamel – klatschnaß geworden waren, entwickelte ich schließlich eine relativ erfolgreiche Methode: Ich stand mit meinem Wassereimer, Seife
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