Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
einer Mutter ruht, mag er auch noch so oft auf die Probe gestellt worden sein. Ich versuchte zu antworten, doch meine Stimme erstarb mir in der Kehle. Ich versuchte aufzustehen, doch meine Glieder wurden niedergehalten.
Dann verlagerte sich das Gewicht, das auf mir ruhte. Emerson erhob sich fluchend auf alle viere. Er war fort, ehe ich ihn aufhalten konnte; wenigstens trug er eines der weiten einheimischen Gewänder, denn ein plötzlicher Kälteeinbruch in der Nacht hatte ihn gezwungen, von seinen sonstigen Gewohnheiten Abstand zu nehmen. Mein eigenes Nachthemd war weit genug, um Sitte und Anstand Genüge zu tun, auch wenn es sich nicht sonderlich für den Aufenthalt im Freien eignete. Ich hielt nur lange genug inne, um in meine Stiefel zu schlüpfen und meinen Sonnenschirm zu packen. Dann stürmte ich hinter meinem Gatten her.
Die Quelle der Störung lag, wie ich erwartet hatte, in der Nähe von Ramses’ Zelt, wo sich mir eine eigenartige Szene bot. Eine Gestalt lag ausgestreckt auf dem Boden. Eine zweite ragte, die Fäuste in die Hüften gestemmt, daneben auf. In einiger Entfernung saß eine dritte, kleinere, bleich und reglos wie eine Statue aus Kalkstein.
»Peabody!« brüllte Emerson.
Ich hielt mir die Ohren zu. »Ich stehe genau hinter dir, Emerson, du brauchst also nicht zu schreien. Was ist denn geschehen?«
»Etwas sehr Merkwürdiges, Peabody. Schau mal. Er hat es schon wieder getan! Es ist schon lächerlich genug, wegen des geringsten Anlasses oder sogar völlig grundlos in Ohnmacht zu fallen; daran hatte ich mich ja allmählich schon gewöhnt, aber seine Mitmenschen mitten in der Nacht aufzuwecken …«
»Diesmal ist er nicht ohnmächtig, Emerson, sondern verwundet … er blutet.«
Erst als meine Finger die klebrige, feuchte Stelle berührten, dämmerte mir die Wahrheit. Wie Emerson trug auch Reggie ein einheimisches Gewand, nur daß seines dunkelblau war. »Licht, Emerson!« rief ich aus. »Ich brauche Licht. Ramses, hol die Laterne. Ramses? Hast du mich nicht verstanden?«
»Ich zünde die Laterne an«, sagte Emerson. »Der arme Junge ist noch ein wenig durcheinander, nachdem er so unsanft geweckt wurde.«
Ich ging zu Ramses hinüber. Selbst als ich mich über ihn beugte, schien er meine Anwesenheit gar nicht wahrzunehmen. Ich packte ihn bei den Schultern, schüttelte ihn und forderte ihn auf, mir zu antworten. (Und ich muß sagen, es war eine ziemliche Abwechslung für mich, Ramses zum Sprechen anstatt zum Schweigen zu bringen.)
Endlich sah er mich blinzelnd an und sagte langsam: »Ich glaube, ich habe geträumt, Mama. Aber ich bin gekommen, als du gerufen hast.«
Der Schauder, der mich durchfuhr, hatte nichts mit der kalten Nachtluft zu tun. »Ich habe dich nicht gerufen, Ramses. Gerade eben war das erstemal. Du hast mich gerufen.«
»Wie merkwürdig.« Ramses strich sich nachdenklich übers Kinn. »Hmmm. Wir müssen die Angelegenheit besprechen und unsere Eindrücke vergleichen, Mama. Ist das da auf dem Boden Mr. Forthright?«
»Ja, und er hat meine Aufmerksamkeit im Augenblick nötiger ab du«, antwortete ich, erleichtert darüber, daß Ramses wieder der alte war. »Bring die Laterne hierher, Emerson.«
Als das Lampenlicht auf den am Boden Liegenden fiel, stieß Emerson einen überraschten Schrei aus. »Entschuldige, Peabody, ich dachte, du hast wieder einen deiner üblichen … ähem. Offenbar hat er stark geblutet. Ist er tot?«
»Nein, und er wird auch wahrscheinlich am Leben bleiben, wenn die Wunde sich nicht entzündet.« Ich drehte Reggie auf den Rücken und öffnete sein Gewand. Die Muskeln an Schulter und Arm waren besser entwickelt, als ich erwartet hatte. »Es ist nicht so schlimm, wie ich dachte. Anscheinend hat die Blutung aufgehört. Und – du meine Güte! Hier ist die Waffe, mit der er verwundet wurde. Sie lag unter ihm.«
Ich nahm sie beim Heft und reichte sie Emerson. »Das wird ja immer seltsamer«, murmelte er. »Das ist kein einheimisches Messer, Peabody, sondern guter Stahl aus Sheffield, der den Stempel eines englischen Herstellers trägt. Könnte er darauf gefallen sein?«
»Schon gut, Emerson. Wir müssen ihn in sein Zelt schaffen, wo ich mich richtig um ihn kümmern kann. Wo zum Teuf … um Himmels willen stecken seine Diener? Wie können sie bei einem solchen Radau schlafen?«
»Vielleicht sind sie betrunken«, fing Emerson an. Dann vernahm ich eine Stimme aus der Dunkelheit: »Hier bin ich. Ich trage ihn.«
Also war der erste Anblick, der sich Reggie
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