Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
Ramses und öffnete den Zelteingang. »Ich habe mir Mühe gegeben, mich so ordentlich zurechtzumachen, wie die Umstände es gestatten. Ich hoffe, Mama, daß mein Äußeres zufriedenstellend ist.«
Da ich ihn nur als dunklen Schatten vor dem noch dunkleren Zeltinneren erkennen konnte, war ich nicht in der Lage, ein brauchbares Urteil abzugeben. Ich schlug vor, er solle eine Laterne anzünden; nicht so sehr, weil ich ihn inspizieren wollte – eine weitere Verzögerung hätte Emerson in Rage versetzt –, sondern weil es inzwischen stockfinster war. Der unebene Boden erschwerte das Gehen, besonders für eine Dame, die Schuhe mit dünnen Sohlen trägt. So ausgerüstet, machten wir uns auf den Weg. Auf meine Bitte hin bot Emerson mir den Arm. Er mag es, wenn ich mich auf seinen Arm stützte, und da Ramses mit der Laterne vorausging, bedachte er mich mit einigen zärtlichen Gesten, die seine Laune besänftigten. So sehr hatte sich seine Stimmung verbessert, daß er beim Anblick des Prunks, den Reggie uns zu Ehren ausgebreitet hatte, nur eine unhöfliche Bemerkung machte.
Kerzen schmückten den Tisch, der mit einem bunt bedruckten Baumwolltuch gedeckt war. Reggie mußte es im suk gekauft haben, da ich solche Tücher dort schon gesehen hatte. Auch das Tongeschirr war von dort, doch ich war mir sicher, daß der Wein aus anderer Quelle stammte. Nicht einmal die unternehmungslustigen griechischen Händler importierten deutschen Rheinwein. Der orientalische Teppich, auf dem der Tisch stand, war wunderschön und antik, sein weinroter Untergrund war mit eingewebten Blumen und Vögeln verziert. Ich konnte nur den Geschmack bewundern, der aus den Erzeugnissen des örtlichen Kunstgewerbes das Beste ausgewählt hatte. Außerdem rechnete ich ihm die Mühe hoch an, die er sich wegen seiner Gäste machte. Viele spotten über die Briten, weil sie selbst in der Wildnis Wert auf gesellschaftliche Formen legen. Doch meiner Ansicht nach haben derartige Anstrengungen nicht nur auf die Teilnehmer, sondern auch auf die Beobachter eine wohltuende Wirkung.
Ahmeds Kochkünste hielten, was sein Dienstherr versprochen hatte, und der Wein war ausgezeichnet. Emerson ließ sich sogar dazu herab, ein Glas zu trinken, aber er lehnte den Brandy ab, den Reggie zum Abschluß der Mahlzeit anbot, obwohl dieser ihn dazu drängte. Aus Höflichkeit stieß ich mit dem jungen Mann an und stellte erfreut fest, daß er ebenso abstinent war wie ich und sich auf ein einziges Glas beschränkte. »Er wird ja nicht schlecht«, meinte er lächelnd, als Ahmed die Flasche fortbrachte. »Aber vielleicht sollte ich ihn mit meinen Männern teilen – als besonderen Bonus, weil morgen ihr Feiertag ist …«
Emerson schüttelte den Kopf, und ich sagte mit Nachdruck: »Auf keinen Fall, Reggie. Alkohol gehört zu den Flüchen, die der weiße Mann in dieses Land gebracht hat. Die Militärbehörden haben – berechtigterweise – ein strenges Auge auf die importierten Mengen. Man würde diesen armen Menschen keinen Gefallen tun, wenn man sie mit der Trinksucht vertraut machte.«
»Das ist zweifellos richtig, Mama«, meinte Ramses, ehe Reggie antworten konnte: »Aber klingt es nicht ein wenig gönnerhaft? Alkoholische Getränke waren hier auch vor Ankunft der Europäer nicht unbekannt; die alten Ägypter liebten besonders Bier und Wein. Sogar kleine Kinder …«
»Bier und Wein sind nicht so ungesund wie Spirituosen«, meinte ich mit einem finsteren Blick auf meinen Sohn. »Aber sie sind alle schädlich für kleine Kinder.«
Da Emerson unruhig wurde, dankte ich Reggie für die Einladung, und wir kehrten zu unseren Zelten zurück. Der Mond war aufgegangen. Er war zwar noch nicht voll, doch er strahlte so hell, daß wir keine Laterne brauchten. Die weichen, silbrigen Strahlen der Göttin der Nacht legten einen magischen und romantischen Zauber über die Welt. (Der Wein mag das Seine dazu beigetragen haben.) Emerson beschleunigte seinen Schritt, und ich hatte nichts dagegen, mich zu beeilen. Wir ließen Ramses in seinem Zelt zurück, nachdem wir ihm liebevoll, aber ein wenig hastig gute Nacht gewünscht hatten, und liefen zu unserem.
Nichts läßt einen Menschen gesünder schlafen als anstrengende körperliche Bewegung. In jener Nacht schlief ich tief und fest. Es war kein gewöhnlicher, hörbarer Lärm, der mich weckte. Eher etwas, das ich für eine Stimme hielt, die mit schrillen Hilfeschreien meine Träume durchdrang. Sie appellierte an den Instinkt, der tief in der Brust
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