Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
A. Oxford, Mitglied der Königlichen Akademie der Königlichen Geographischen Gesellschaft und Mitglied der Amerikanischen Philosophischen Gesellschaft. Das hier ist meine verehrte Hauptfrau, die Heilerin Amelia Peabody Emerson, et cetera, et cetera, et cetera; und dieser edle Knabe ist der Erbe seines Vaters und Sohn der Hauptfrau, Walter Ramses Peabody Emerson.«
Mit einem strahlenden Lächeln machte sich der alte Gentleman daran, die anderen vorzustellen. Das dauerte seine Zeit, da alle über eine beeindruckende Reihe von Titeln verfügten.
Priester und Propheten, Höflinge und Grafen, Fächerträger und Wächter über die Sandalen Seiner Majestät. Ihre Namen sind für unsere Geschichte ohne Bedeutung, bis auf einen – Pesaker, der königliche Wesir und Hohepriester des Aminreh. Unsere Besucher waren samt und sonders prächtig gekleidet und funkelten von Kopf bis Fuß, doch Pesaker klimperte förmlich, denn er trug unzählige Armbänder und Armreifen, einen gewaltigen Brustschmuck und einen breiten juwelenbesetzten Kragen. Sein kunstvoll aufgetürmtes Haar war offensichtlich eine Perücke. Die steifen, schwarzen Löckchen bildeten einen unglaubhaften Rahmen für sein faltiges, mürrisches Gesicht. Vermutlich war er ein Blutsverwandter der Prinzen, denn seine Züge waren eine ältere und gröbere Version der ihren.
Wir hatten mehr bekommen, als wir gehofft hatten – nicht nur Tarek, sondern Vertreter der Höchsten im Land. Ich hätte das als gutes Omen gedeutet, wären da nicht der feindselige Blick von Prinz Nastasen (der den Namen seines entfernten Vorfahren trug, dessen Grab wir in Nuri entdeckt hatten) und der finstere Gesichtsausdruck von Aminrehs Hohepriester gewesen.
Ich machte das Beste aus der Situation, wie es die Pflicht einer guten Gastgeberin ist, und wies auf die Tische, wo bereits Diener mit Weinkrügen und Platten voller Speisen bereitstanden. Die Entscheidung, wer neben wem sitzen sollte, führte zu ein wenig Gedrängel und Geschubse. Ich hatte gehofft, Tarek als Tischherrn zu bekommen, doch sein Bruder stieß mich buchstäblich auf einen Stuhl und nahm neben mir Platz; mit einer Handbewegung bedeutete er Murtek, sich zu uns zu gesellen. Offensichtlich bedurfte er seiner Dienste als Dolmetscher; Prinz Nastasen sprach kein Englisch.
Tarek, über dessen ernstes Gesicht ein Lächeln huschte, gab Ramses den Vorzug, wodurch Emerson mit dem Hohepriester des Aminreh vorliebnehmen mußte – er und die beiden Prinzen waren die Ranghöchsten unter den Anwesenden. Die übrigen verteilten sich auf die restlichen Tische, an denen nur jeweils zwei oder drei Personen Platz fanden.
Die Musikerinnen, die zu spielen aufgehört hatten, als der alte Mann das Wort ergriff, stimmten nun ein Geschepper an, das hin und wieder von Trommelwirbeln unterbrochen wurde. Eine der jungen Frauen begann, sich dazu zu winden. Sie war sehr gelenkig.
Nastasen war kein sonderlich anregender Gesprächspartner. Er widmete sich dem Essen, und Murtek war gezwungen, sich auf Lächeln und Nicken zu beschränken, obwohl er offenbar darauf brannte, seine Englischkenntnisse vorzuführen. Irgend etwas riet mir, seinem Beispiel zu folgen, was ein weiser Entschluß war. Denn wie ich später erfuhr, schickte es sich nicht zu sprechen, ehe die ranghöchste anwesende Person das Wort zu ergreifen geruhte.
Nachdem Nastasen eine gebratene Ente verschlungen (und die Knochen einfach über die Schulter geworfen) hatte, fixierte er mich mit seinen dunklen Augen. Trotz des gutturalen Klangs seiner Muttersprache war zu erkennen, was für eine schöne Stimme er hatte: einen tiefen, weichen Bariton. Ich verstand nur einige Wörter und beschloß, mir nicht einmal das anmerken zu lassen. Also lächelte ich Murtek fragend an.
»Der Königssohn fragt, wie alt Ihr seid«, erklärte der würdige Greis.
»Ach, du meine Güte«, entgegnete ich etwas perplex. »In unserem Land gilt es als unhöflich … Sagt ihm, wir zählen die Jahre anders als er. Sagt ihm, ich wäre … so alt wie seine Mutter.«
»Gut gemacht, Peabody«, murmelte eine Stimme dicht an meinem Ohr, und der alte Mann übersetzte meine Antwort.
Nastasen fuhr fort, mich mit Fragen zu bombardieren, die in einer zivilisierten Gesellschaft als höchst ungehörig aufgefaßt worden wären. Sie drehten sich hauptsächlich um meine persönlichen Gewohnheiten, meine Familie und meine Ehe. Möglicherweise galt so etwas in seiner Kultur ebenfalls als taktlos, doch da ich nicht in der Lage war, es
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