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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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mir zu verbitten, wich ich aus, so gut ich konnte. Emerson, der am Nebentisch saß, konnte sich nicht so gut beherrschen wie ich. Im Verlauf des Verhörs hörte ich ihn mehrmals knurren und nach Luft schnappen. Der Arme vermutete, daß die intimen Fragen des Prinzen auf ein näheres Interesse an meiner bescheidenen Person hindeuteten. Ich hingegen bezweifelte das. Allerdings bezweifelte ich ebenfalls, daß meine Behauptung, ich sei so alt wie seine Mutter, ihn daran hindern würde, mich in seine Sammlung aufzunehmen, falls ihm der Sinn danach stand.
    Nachdem ich mehr als ein gutes Dutzend seiner Fragen beantwortet hatte, beschloß ich, nun meinerseits einige zu wagen. »Ich hoffe, Euer verehrter Vater, der König, ist wohlauf?« erschien mir unverfänglich, aber Nastasen schien keinen Gefallen daran zu finden. Seine Züge verfinsterten sich, und er gab nur eine knappe Antwort.
    Der alte Herr nahm sich einige übersetzerische Freiheiten: »Seine Majestät Osiris. Er gefliegt in Himmel. Er König von westlichem Volk.«
    »Ist er tot?« fragte ich erstaunt.
    »Tot, ja, tot.« Murtek lächelte breit.
    »Aber wer ist dann König? Hat Seine Hoheit einen älteren Bruder?«
    Der Alte wandte sich an den Prinzen. Als Antwort erhielt er ein kurzes Nicken, und mir dämmerte, daß er um Erlaubnis gebeten hatte, die Situation zu erläutern. Das tat er denn auch recht ausführlich und mit ziemlich eigenwilliger Grammatik.
    Der König war erst vor wenigen Monaten verstorben. (»Der Horus gefliegt zur Erntezeit.«) In vielen Kulturen übernahm der älteste Prinz automatisch die Krone; hier jedoch hing die Thronfolge von einer Reihe weiterer Faktoren ab, wobei der Rang der Mutter der wichtigste war. Der König hatte viele Frauen gehabt, doch nur zwei davon waren Prinzessinnen gewesen – die Halbschwestern des verstorbenen Königs. Daß dieser alte Brauch aus dem alten Ägypten und dem kuschitischen Reich in diesem Tal überlebt hatte, überraschte mich nicht weiter. Sowohl dogmatisch als auch praktisch gesehen, hatte er seinen Sinn, denn der König hielt seinen Schwestern, indem er sie selbst heiratete, ehrgeizige Adlige vom Hals, die aufgrund der königlichen Geburt ihrer Gemahlinnen Anspruch auf den Thron erheben konnten. Außerdem ging man so sicher, daß sich das Blut der Pharaonen nicht vermischte. Die Kinder geringerer Gattinnen und Konkubinen erhielten Adelstitel wie der junge Graf, den Tarek als seinen Bruder vorgestellt hatte. Anspruch auf den Thron jedoch hatten zunächst nur die Söhne von Prinzessinnen. Nun hatte zum erstenmal in der Geschichte des Königreichs jede der beiden Damen einen Sohn und die beiden waren genau gleichaltrig.
    Als ich diese bemerkenswerte Äußerung hinterfragte, zuckte der alte Mann die Achseln. Nicht im gleichen Augenblick oder der gleichen Stunde, nein; eigentlich war der edle Prinz Tarek ein klein wenig älter. Doch die beiden waren im gleichen Jahr Seiner Majestät geboren, und immer wenn die Situation nicht eindeutig war – bei Zwillingen zum Beispiel –, wurde die Entscheidung den Göttern überlassen. Oder dem Gott Aminreh selbst. Wenn Er auf seinem jährlichen Rundgang durch die Stadt sein Heiligtum verließ, würde Er den nächsten König bestimmen. Dieses Ereignis stand in wenigen Wochen bevor. In der Zwischenzeit hatte der edle Prinz Nastasen während der Abwesenheit seines Bruders die Regierungsgeschäfte versehen; mit der Hilfe des Wesirs, der Hohepriester, der Berater …
    »Und Onkel Tom Cobley und so weiter«, murmelte ich.
    »Nein«, erwiderte der alte Murtek ernst. »Der wohnt nicht hier.«
    Daß ich fasziniert war, ist eine starke Untertreibung. Das alte Ägypten zu studieren war meine Lebensaufgabe, und Rituale, die ich bislang nur von verwitterten Grabmauern und zerbröckelnden Papyri kannte, leibhaftig mitzuerleben, versetzte mich in einen Zustand unbeschreiblicher Erregung. Aminreh war offenbar Amon-Re, und er hatte hier die nämliche hohe Stellung inne wie in Ägypten. Von einer untergeordneten Gottheit in Theben hatte er sich zum König der Götter erhoben und ihre Namen übernommen, während seine ehrgeizigen Priester Ländereien und Reichtümer ansammelten und ihre Tempel ausstatteten. Amon-Re würde zum erstenmal einen König bestimmen. Vor mehr als dreitausend Jahren hatte das Nicken des Gottes einem einfachen Priester gegolten, der als Thutmoses III. einer der mächtigsten Pharaonen und Kriegsherren Ägyptens werden sollte. Und hatte die Stele des ersten Nastasen,

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