Amelia Peabody 07: Die Schlange, das Krokodil und der Tod
keine ausreichend bissige Bemerkung parat. Also begab er sich in die Defensive, was – wie ich ihm hätte sagen können – stets ein Fehler ist.
»Schließlich habe ich doch einen dieser Dreckskerle geschnappt, oder?«
»›Geschnappt‹ ist wohl kaum das richtige Wort. Sie hätten ihn nicht so fest treten dürfen. Solange seine Nase und sein Kiefer ruhiggestellt sind, kann er nicht verständlich reden, und darüber hinaus …«
Emerson rollte die Augen, vollführte eine ärgerliche Handbewegung und stürmte davon. Kevin, der sich während des Wortwechsels vernünftigerweise in sicherer Entfernung gehalten hatte, kam herbei und nahm auf dem Teppich zu meinen Füßen Platz. »Er scheint ganz der alte zu sein. Sind Sie sicher, daß er …«
»Ich sollte es doch am besten wissen. Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe. Ein falsches Wort, und ich sorge dafür, daß Cyrus mit Ihnen so verfährt, wie er vorgeschlagen hat. Und denken Sie daran, mich Miss Peabody zu nennen.«
Es mag der Glanz der untergehenden Sonne gewesen sein, der die Züge des jungen Journalisten weicher erscheinen ließ, doch auch seine Stimme klang gedämpft, als er sagte: »Das tut wohl am meisten weh. Wie konnte er eine Frau wie Sie vergessen …«
»Ich will kein Mitleid von Ihnen, Kevin. Ich will – ich bestehe darauf –, daß Sie mit mir zusammenarbeiten.«
»Das verspreche ich, Mrs. … Miss Peabody. Ich nehme an, Sie haben nichts dagegen, wenn ich mich mit den anderen unterhalte – mit Abdullah zum Beispiel. Schließlich«, fügte er mit entwaffnender Offenheit hinzu, »erwartet man von einem Detektiv, der ich ja angeblich bin, daß er Leute befragt.«
Dieses Argument war überzeugend. Nun, da es zu spät war, wünschte ich mir, ich hätte mir für Kevin eine andere Rolle ausgedacht – zum Beispiel die eines schreibunkundigen Taubstummen. »Oh, welch ein verknäultes Netz wir weben, wenn wir uns dem Betrug hingeben!« Kevin nahm mein verblüfftes Schweigen als Zustimmung und trollte sich davon, die Hände in den Taschen und ein fröhliches Pfeifen auf den Lippen. Und ich dachte über diese neueste Verstrickung und ihre möglichen Folgen nach.
Kevin wußte also bereits über den einen Punkt Bescheid, an dessen Geheimhaltung mir am meisten gelegen hatte. Andere, gleichfalls wichtige Tatsachen schien er hingegen noch nicht zu kennen, und ich war fest entschlossen, um jeden Preis dafür zu sorgen, daß das auch so blieb. Auf die Geschichte der Verlorenen Oase würde sich Kevin stürzen wie ein Hund auf einen deftigen, wohlriechenden Knochen, denn auf diese Art von phantastischen Geschichten war er spezialisiert. Schon die kleinste Andeutung würde genügen, um ihn auf die Fährte zu locken. Er würde sich nicht um den richtigen Sachverhalt scheren, denn nach den Grundsätzen seines Gewerbes war Erfindung genausogut wie die Wahrheit. Rasch ging ich in Gedanken die Liste der Anwesenden durch, um mich zu vergewissern, daß niemand unter ihnen war, der etwas ausplaudern würde.
Emerson wußte nur das, was ich ihm über die Sache berichtet hatte, und er glaubte mir sowieso nicht. Wie dem auch sei, Kevin war gewiß der letzte, mit dem er das Thema erörtern würde. Die Verschwiegenheit von Cyrus stand für mich außer Zweifel. René und Charles waren nicht eingeweiht, ebensowenig Abdullah. Bertha behauptete weiterhin, ihr »Meister« habe ihr nichts erzählt. Falls sie log … nun, auch in diesem Fall hatte sie reichlich Grund, sich mit Äußerungen zurückzuhalten. Denn wenn sie zugab, etwas zu wissen, wovon sie angeblich nie gehört hatte, würde sie sich selbst der Lüge überführen und das Geheimnis lüften, das ihr Meister ebensowenig der Öffentlichkeit preisgeben wollte wie wir.
Meine Erwägungen waren hieb- und stichfest. Dieser Sorge ledig (wären auch nur die anderen so leicht zu beseitigen gewesen!), machte ich mich auf den Weg, um nach meinem neuesten Patienten zu sehen.
Einer von Cyrus’ Männern stand Wache vor dem Zelt, das für Mohammed aufgebaut worden war. Das wäre gar nicht nötig gewesen; der Kerl war so mit Laudanum vollgepumpt, daß er nicht einmal aufgesprungen wäre, wenn sein Bett in Flammen gestanden hätte. Ich vergeudete meine Medikamentenvorräte nur sehr ungern an ein solch verkommenes Subjekt. Allerdings hatte er unter heftigen Schmerzen gelitten, und selbst wenn das Mitleid meinen Zorn nicht besänftigt hätte, wäre es mir unmöglich gewesen, seine gebrochene Nase einzurichten, während er sich
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