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Amelia Peabody 07: Die Schlange, das Krokodil und der Tod

Titel: Amelia Peabody 07: Die Schlange, das Krokodil und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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einen Schrei zu unterdrücken, als ich die vertrauten Gesichtszüge sah – vertraut, doch so entsetzlich verändert.
    Der Bart, den er sich auf meinen Beschluß hin abrasiert hatte, war wieder gewachsen und verdeckte die kräftigen Konturen von Kinn und Unterkiefer; er reichte von seinen Wangen bis zum Haaransatz. Seine geschlossenen Augen lagen tief in den Höhlen, und die Wangenknochen traten hervor wie Dachsparren. Sein Hemd stand offen, so daß man seinen Hals und seine Brust sehen konnte …
    Die Erinnerung an eine andere Zeit, an einen anderen Ort erfaßt mich mit solcher Gewalt, daß ich meinte, der Kopf würde mir zerspringen. Wollte die Vorsehung mich verspotten? War das ihre Antwort auf meine unausgesprochene Bitte, jene aufregenden, längst vergangenen Tage sollten wiederkehren – die Zeit, als Emerson und ich einander ein und alles waren –, ehe Ramses in unser Leben trat? So hatte er damals ausgesehen, an diesem unvergeßlichen Tag, als ich in Amarna in das Grab hinabstieg und ihn fand, fiebernd im Delirium. Ich hatte damals gegen den Tod gekämpft, um ihn zu retten, und gewonnen. Doch jetzt … er lag so still da; sein Gesicht eingefallen und regungslos wie eine Totenmaske. Nur der verzweifelte Blick einer Liebenden konnte erkennen, daß sich seine Brust kaum merklich hob und senkte. Was hatten sie bloß getan, um einen Mann von seiner Kraft in nur wenigen Tagen in einen solchen Zustand zu versetzen?
    Als der tiefer wandernde Sonnenstrahl einen Gegenstand auf dem Tisch aufblitzen ließ, kannte ich die Antwort: Es war eine Injektionsnadel.
    Kaum war diese schreckliche Entdeckung mir ins Bewußtsein gedrungen, bemerkte ich noch etwas. Mir war zuvor schon aufgefallen, daß er die Arme unnatürlich steif über dem Kopf ausgestreckt hielt. Nun begriff ich, warum. Von den Fesseln an seinen Handgelenken verlief eine Kette durch die Stangen des Kopfteils seines schmalen Bettes.
    Ich vermag nicht zu erklären, warum diese Einzelheit eine solche Wirkung auf mich hatte. Sicherlich handelte es sich um eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme. Jeder, der vorhatte, Emerson gegen seinen Willen an einem Ort festzuhalten, wäre ein Narr gewesen, hätte er darauf verzichtet, ihn zu fesseln. Dennoch brachte es mich in Rage, und vielleicht war auch meine heftige Empörung für das verantwortlich, was dann – wie man mir erzählte – geschah.
    Ich hatte an der Tür undeutliche Stimmen wahrgenommen. Zu dem einen Wächter hatte sich ein zweiter Mann gesellt; sie unterhielten sich lautstark und erzählten sich vermutlich schmutzige Geschichten, denn man hörte immer wieder heiseres Lachen. Die Stimmen verwandelten sich allmählich in ein undeutliches Brummen wie von Insekten. Eine schwarze Wolke hüllte mich ein, und rasender Zorn brauste mir in den Ohren.
    Als ich wieder zu Sinnen kam, sah ich Abdullahs erschrockenes Gesicht ganz dicht an meinem. Mit einer Hand hielt er mir den Mund zu. »Die Wächter sind fort, um Bier zu holen, aber sie werden wiederkommen«, flüsterte er. »Hörst du mich, Sitt? Ist der böse Geist von dir gewichen?«
    Ich konnte ja nicht sprechen, also blinzelte ich mit den Augenlidern. Finger um Finger lockerte er meinen Griff, wobei er mich ängstlich beobachtete. Ich spürte einen heftigen stechenden Schmerz in den Händen. Erst jetzt bemerkte ich, daß ich das schwere Gitter gepackt und aus dem Rahmen gehoben hatte, in dem es verankert gewesen war. Meine Finger waren aufgerissen und bluteten.
    Abdullah murmelte etwas in Arabisch – Zauberformeln und Beschwörungen, die die Mächte des Bösen bannen sollten.
    »Der … äh … böse Geist ist wieder fort«, flüsterte ich. »Wie seltsam. Das ist, soweit ich weiß, das zweite Mal, daß mir so etwas geschehen ist. Ich habe Emerson ausgelacht, als er mir von dem ersten Vorfall erzählte. Das muß ich ihm berichten und mich für meine Zweifel entschuldigen, wenn er … wenn wir …«
    Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, daß ich meine Stimme nicht mehr im Griff hatte. Ich ließ den Kopf auf die verschränkten Arme sinken.
    Eine Hand, so sanft wie die einer Frau, strich mir über das Haar. »Meine Tochter, weine nicht. Glaubst du denn, ich würde es wagen, mich einen Mann und einen Freund zu nennen, wenn ich ihn hier liegen ließe? Ich habe mir einen Plan ausgedacht.«
    Abdullah hatte nie anders zu mir gesprochen als mit förmlichen Respekt, noch hatte er je Koseworte gebraucht. Ich hatte gewußt, wie sehr er Emerson achtete; man hätte es ohne

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