Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
los. »Sagen Sie mir auch die Wahrheit? Ist ihr wirklich nichts zugestoßen?«
Allmählich machte ich mir Sorgen – nicht um meine eigene Sicherheit, denn das wäre albern gewesen, sondern um Gertrudes Geisteszustand. Offenbar war sie vollkommen übergeschnappt. Das Zimmer hinter ihr lag im Dunkeln, da die Läden geschlossen waren, und der Geruch des seltsamen Weihrauchs lag in der Luft.
»Niemandem ist etwas zugestoßen, Gertrude. Ich wollte Mr. Vandergelt nur das erzählen, was ich jetzt Ihnen mitteilen werde – wir haben die Grabkammer betreten und wundervolle Entdeckungen gemacht.«
Sie schlug die Hand vor die Brust. »Die Grabkammer? Mein Gott, ist das wahr? Aber der Herr Professor hat doch gesagt …«
»Er hat seine Meinung geändert. Was haben Sie denn? Sind Sie krank?«
»Nein! Nein, ich danke Ihnen. Mir geht es gut, mir fehlt nichts. Sagen Sie mir nur – ist sie dort?«
»Könnten Sie sich vielleicht ein wenig deutlicher ausdrücken, Gertrude?« fragte ich. Wenn man mit einem Menschen spricht, der kurz vor einem hysterischen Anfall steht, ist es nötig, einen strengen, wenn nicht gar autoritären Ton anzuschlagen. »Falls Sie Nefret meinen: Ja, sie ist dort und arbeitet gemeinsam mit dem Professor und den anderen. Falls sie auf Königin Tetischeri anspielen, kann ich Ihnen dazu noch nichts Bestimmtes sagen. Der Sarkophag ist geschlossen, und das wird er auch bleiben, bis der Professor entscheidet, ihn zu öffnen.«
»Heute?«
»Nein, nicht heute und auch nicht in den nächsten Tagen. Ich muß gehen, Gertrude. Sie sollten sich besser hinlegen.«
Allerdings schlug ich nicht den direkten Weg zum Tal ein, sondern versteckte mich in einer der unzähligen kleinen Schluchten, die die Felswände zerklüften, um zu warten. Von diesem Platz aus konnte ich die Vorderseite des Hauses beobachten, doch ich ging davon aus, daß mich niemand bemerken würde, solange ich reglos im Schatten verharrte.
Kaum eine halbe Stunde später fuhr Cyrus’ Kutsche vor.
Gertrude eilte mit schief sitzendem Hut und zerzaustem Haar aus dem Haus und stieg ein. Die Kutsche fuhr, gefolgt von einer Staubwolke, los, und ich blickte ihr nach, bis sie außer Sichtweite war. Sie hatte nicht die südliche Straße nach Drah Abu’l Naga und Deir el Bahri eingeschlagen, sondern hielt geradewegs auf die Fähre zu. Was hätte ich nur darum gegeben, an zwei Orten zugleich sein zu können! Doch es wäre schwierig gewesen, Gertrude zu verfolgen, ohne daß sie mich sah, und wenn sie mich sah hätte sie ihr Fahrtziel bestimmt geändert. Inzwischen bereute ich, daß ich überhaupt mit ihr gesprochen hatte. Erst auf ihre merkwürdige Reaktion hin war mir klargeworden, daß sie ihrem unbekannten Anführer bestimmt umgehend Bericht erstatten würde.
Nun ja, dachte ich schicksalsergeben, im nachhinein ist man immer klüger. Also trieb ich mein Pferd zum Galopp an und ritt los, um meinen ursprünglichen Plan in die Tat umzusetzen.
Cyrus beaufsichtigte seine Männer, die körbeweise Sand fortschafften. Nach der niedergeschlagenen Miene meines Freundes zu urteilen, hatten sie noch kein Anzeichen für ein Grab entdeckt. Eilig lenkte ich mein Pferd zwischen den lästigen Touristen hindurch und kam vor Cyrus’ Füßen zu einem abrupten Stillstand.
Offenbar war mein Auftritt ein wenig zu schwungvoll gewesen, denn Cyrus sprang zurück. »Du heiliger Strohsack, Mrs. Amelia!« rief er aufgeregt aus. »Ist etwas geschehen?«
Ich beruhigte ihn und sagte mein Sprüchlein auf. Sein ausdrucksvolles Gesicht zeigte zuerst Erleichterung, dann Freude und schließlich heftigen Neid. »Darf ich es mir einmal ansehen?« fragte er voll Hoffnung. »Ich komme sofort mit, wenn Sie einverstanden sind. Ich muß nur noch einmal zurück zum Haus, um mein Pferd zu holen. Heute morgen bin ich zu Fuß gegangen.«
»Ich habe vorher noch etwas zu erledigen«, antwortete ich. »Aber besuchen Sie Emerson nur, sobald es Ihnen recht ist. Er freut sich bestimmt, Sie zu sehen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, entgegnete Cyrus grinsend. »Doch Sie könnten mich auch mit Gewalt nicht fernhalten.«
Er wandte sich an seinen Assistenten und sagte: »Tut mir leid, mein Junge, aber Sie werden sich gedulden müssen. Professor Emerson ist kein Freund von Menschenansammlungen, und ich möchte ihn lieber nicht verärgern.«
»Das würde ich auch gern vermeiden«, entgegnete Mr. Amherst mit Nachdruck. »Aber werden Sie ihn fragen, Sir …«
»Natürlich. Vielleicht braucht er unsere
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