Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
verantwortungsbewußter junger Mann denkt gar nicht erst ans Heiraten, bevor er nicht mindestens fünfundzwanzig ist.
Ich weiß nicht, welche seltsame psychologische Eingebung mich dazu verleitete zu fragen: »Was sagen die Männer denn eigentlich zu Ramses, Emerson?«
Emerson kicherte. »Eine ganze Menge, Peabody.«
»Du weißt doch, was ich damit meine. Nefret ist Nur Misur, ich bin die Sitt Hakim, und du Abu Shita’im. Haben sie keinen entsprechenden Spitznamen für Ramses?«
Aber ich bekam bei dieser Gelegenheit keine Antwort, denn Emerson war mit etwas anderem beschäftigt.
Noch vor Tagesanbruch waren wir auf den Beinen. Wir konnten es kaum erwarten, zum Haus zu kommen und mit unserer Arbeit zu beginnen. Wie gewöhnlich frühstückten wir auf dem Oberdeck und sahen zu, wie die Sterne verblaßten und die östlichen Klippen erkennbar wurden, die von der aufgehenden Sonne in ein Spektrum von Farben getaucht wurden, das von Rauchgrau bis Amethyst und von Rosa bis Blaßgold reichte.
Wie üblich fing der Tag mit einer Auseinandersetzung an.
Ramses und David (d. h. Ramses) hatte(n) beschlossen, daß sie während der Saison lieber an Bord der Dahabije bleiben wollten. Sie (ich bezweifelte nicht, daß sich David von Ramses hatte überzeugen lassen) legten eine Reihe von bestechenden Argumenten dar. Das Haus wäre ziemlich eng für vier Personen und die erforderlichen Arbeitszimmer. Es gäbe keine Notwendigkeit für weiteres Dienstpersonal, da sie ihre Mahlzeiten mit uns einnehmen und ihre Zimmer selbst saubermachen könnten, außerdem würden Hassan und die Besatzung ohnehin häufig an Bord sein und …
Und so fort. Das war alles richtig, hatte aber nichts mit den wahren Gründen für ihr dargelegtes Vorhaben zu tun.
Wie ich es vermutlich schon erwartet hatte, ergriff Emerson für sie Partei. Männer halten immer zusammen. Nefret erschwerte die Situation noch, indem sie darauf pochte, daß, wenn Ramses und David an Bord bleiben dürften, ihr das gleiche Privileg zugestanden werden sollte. Es ist überflüssig zu erwähnen, daß ich mit dieser Idee kurzen Prozeß machte.
»Wirklich!« sagte ich, nachdem sie in ihr Zimmer gestürmt war, um ihre Sachen zusammenzupacken, und die Jungen sich vorsichtig aus dem Staub gemacht hatten. »Ich frage mich langsam, ob das Mädchen jemals zivilisiertes Benehmen an den Tag legen wird. Kannst du dir das Gerede vorstellen, wenn ich ihr erlauben würde, ohne eine Aufsicht mit ihnen hierzubleiben? Bei Nacht?«
»Sie sind häufig während der Arbeitsstunden ohne Aufsicht zusammen«, sagte Emerson sanft. »Ich habe diese Zwangsvorstellungen der Schandmäuler, was die Abendstunden betrifft, noch nie verstanden. Wie du sehr gut weißt, Peabody, ist die Handlung, die sie so entsetzt, durchaus nicht nur bei hellem Tageslicht möglich, sie ist sogar noch wesentlich interessanter, wenn …«
»Ja, mein Lieber, das weiß ich sehr gut«, sagte ich lachend. »Du brauchst es mir nicht zu demonstrieren.«
Emerson nahm seinen Arm weg und kehrte zu seinem Stuhl zurück. »Was Nefret und zivilisiertes Benehmen anbelangt, so hoffe ich inständig, daß sie sich niemals so benimmt, wenn du unter ›zivilisiert‹ das Verhalten eines dummen englischen Mädchens verstehst. Auch sie gehört zu denen, die in zwei Welten leben«, sagte Emerson, offensichtlich begeistert von seiner poetischen Metapher. »Die prägenden Jahre ihres Lebens hat sie in einer Gesellschaft verbracht, die andere und in mancher Hinsicht viel vernünftigere Verhaltensformen kennt. Außerdem, meine Liebe, ist auch dein Verhalten nicht unbedingt immer konventionell. Nefret ahmt dich gern nach, denn sie bewundert dich sehr.«
Den Großteil unserer Sachen hatten wir bereits am Vortag gepackt. Wir hatten schon eine Weile gewartet, als wir die kleine sich nähernde Karawane bemerkten – Esel und Karren und die Pferde, die Emerson gemietet hatte. Die Männer fingen an, Kisten und Kästen auf die Karren zu laden. Schließlich eilte Abdullah auf mich zu.
»Wie du siehst, ist alles bereit, Sitt.«
»Gut«, sagte ich. »Selim, sorge nur dafür, daß die Kiste mit den Putzlappen oben auf dem Stapel ist.«
»Du wirst sie nicht benötigen, Sitt«, beruhigte mich Abdullah.
Diese kleine Diskussion führten wir jedes Jahr, deshalb lächelte ich nur und nickte – und sorgte dafür, daß die Putzsachen leicht erreichbar waren. Dann schlenderte ich zu Emerson, der die Pferde begutachtete.
»Sie sind gewaschen worden, Sitt Hakim.« Selim
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