Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
den Rückweg machten. Außer Emerson, dessen Fähigkeit, ohne Flüssigkeit auszukommen, der eines Kamels gleicht. Wir anderen hatte alle Feldflaschen bei uns.
»Wo ist der Gaffir ?« fragte Emerson plötzlich.
»Welcher Gaffir? Ach, dieser Kerl.« Ich blickte mich um. Das staubige Bündel war nirgendwo zu sehen. »Er geht vermutlich wieder seiner Arbeit nach, was auch immer das sein mag.«
»Ich habe niemanden gesehen«, sagte Nefret.
Zwangsläufig sagte Ramses, daß er jemanden gesehen hatte. »Hat er etwas getan, was deinen Verdacht erregt hat, Vater? Denn als ich ihn beobachtete, schien er tief und fest zu schlafen.«
»Ja, er schlief«, stimmte Emerson zu.
Er hatte Ramses’ Frage nicht beantwortet. Ich schloß daraus, daß er absichtlich vage und geheimnisvoll blieb, weil er hoffte, mich damit wieder auf eine falsche Fährte zu locken. So etwas macht er gelegentlich, wenn wir uns in einer unserer freundschaftlichen kleinen Kriminalfehden befinden.
Um bei der Wahrheit zu bleiben, es gab bislang keinerlei Anzeichen dafür, daß ein Verbrechen begangen worden war. Vielleicht wußte Emerson etwas und ich nicht. Von diesem Gedanken beflügelt, gestattete ich ihm, mich nach Hause zu geleiten.
4. Kapitel
Sollte sich Ihnen jemand zu Füßen werfen und zulassen, daß Sie auf ihm herumtrampeln, sind Sie ein bemerkenswerter Mensch, wenn Sie diese Einladung ablehnen.
Als wir schließlich das Haus erreichten, waren die Gedanken an ein Verbrechen von dem Gedanken an Wasser verdrängt worden – nicht daß ich Durst hatte, ich wollte einfach darin versinken. Die normale Badeprozedur bestand darin, daß ein Diener kannenweise Wasser über einem ausgoß. Offensichtlich ist das aber bei Frauen nicht schicklich, deshalb hatte ich mir ein Badezimmer mit einer eleganten Zinkwanne einrichten lassen. Diese Wanne mußte natürlich von Hand gefüllt werden, aber ein Abfluß führte geradewegs in meinen kleinen Blumen garten, so daß das kostbare Wasser nicht verschwendet wurde. (Die Badewanne war den ganzen Winter über nicht benutzt worden, deshalb existierten der Blumengarten ebenso wie die Kletterpflanzen nur noch in meiner lebhaften Erinnerung.)
Als ich geistig und körperlich erfrischt aus dem Bad kam, stellte ich fest, daß sich Emerson den primitiven Badefreuden hingegeben hatte, die ich eingangs erwähnte. Er stand in unserem Schlafzimmer und trocknete sich und sein nasses schwarzes Haar sorgfältig ab. Als wir schließlich auf die Veranda hinaustraten, war die Sonne bereits im Westen hinter den Bergen versunken, und Sterne glitzerten am tiefschwarzen östlichen Himmel.
Nefret hatte eine Laterne angezündet und las, während es sich Sekhmet auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hatte. Eine sanfte Brise wehte durch die offenen Arkaden und zerzauste ihr gelöstes Haar, das im Licht wie Goldfäden schimmerte. Als ich nach den Jungen fragte, wurde ich informiert, daß sie sich dazu entschlossen hatten, an Bord der Dahabije zu dinieren.
»Dinieren? Was beabsichtigen sie denn zu essen?« fragte ich.
»Das, was die Mannschaft ißt, schätze ich.« Emerson war zum Tisch gegangen. Er reichte mir ein beschlagenes Glas mit Whiskey und Soda. »Leg deine Füße hoch, und entspann dich, Peabody, du scheinst ein wenig – äh – steif zu sein. Ich hoffe, daß unsere heutige Exkursion nicht zu anstrengend für dich gewesen ist!«
Emerson befand sich offensichtlich in einer komischen Stimmung, deshalb hielt ich es für ratsam, die Frage zu ignorieren. Ich fing an, die Stapel von Briefen und Mitteilungen durchzugehen, die am Morgen eingetroffen waren, da ich vorher noch keine Gelegenheit dazu gefunden hatte. Die europäische Gemeinschaft von Luxor wuchs zum einen dank der Cook’s Tours ständig, zum anderen aufgrund der Tatsache, daß dieser Gegend in zunehmendem Maße der Ruf eines Erholungsgebiets zugeschrieben wurde. Besucher und Bewohner tauschten Briefe und Einladungen aus, gaben Dinnerpartys in den Hotels und auf ihren Segelschiffen, spielten Tennis und ergötzten sich an Klatschgeschichten. Wie der werte Leser vermutlich weiß, verabscheute Emerson diese Gemeinschaft, die er verächtlich als »Dahabije Dinnergesellschaft« bezeichnete.
Unter den Mitteilungen befand sich eine von unserem einflußreichen amerikanischen Gönner Cyrus Vandergelt, der bereits einige Wochen vor uns eingetroffen war und in seinem prachtvollen Haus, »dem Schloß«, residierte, das nahe dem Eingang zum Tal der Könige lag. Cyrus hatte viele Jahre
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