Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
sich in einen Sessel fallen. »Den hat sie in London getroffen.«
»Wie kommst du denn darauf? Sie hat doch immer irgendwelche Verehrer.« David schloß die Tür zu Ramses’ Zimmer und setzte sich ebenfalls.
»Sie hat diesen Burschen heimlich getroffen und uns angelogen. Das paßt gar nicht zu ihr.«
»Vielleicht hat sie es satt, daß du ihre Verehrer ständig lächerlich machst.«
»Die meisten ihrer Opfer haben sich auch ohne mein Zutun selbst zum Idioten abgestempelt. Also – zumindest ohne viel Zutun«, erwiderte Ramses.
»Warum gibst du ihr deine Gefühle nicht zu erkennen? Ich weiß, daß du vom westlichen Standpunkt aus gesehen noch viel zu jung bist, um an eine Eheschließung zu denken; wenn sie allerdings einer Verlobung zustimmte, wärest du ihrer zumindest sicher.«
»O ja«, sagte Ramses erbittert. »Vielleicht wäre sie so weichherzig und hirnverbrannt, meinen Antrag aus reinem Mitleid anzunehmen, und wenn sie mir ihr Wort gegeben hätte, würde sie es niemals brechen. Willst du damit vorschlagen, daß ich ihre Freundlichkeit und Zuneigung ausnutzen soll und von ihr verlange, vier bis fünf Jahre treu auf mich zu warten?«
»Diesen Aspekt hatte ich nicht bedacht«, gestand David kleinlaut.
»Du bist sicherlich nicht so dumm, dich in ein Mädchen zu verlieben, das nichts für dich übrig hat. Ich werde meine Gefühle erst dann offenbaren, wenn ich in irgendeiner Form bemerke, daß sie auf Gegenseitigkeit beruhen. Bislang scheine ich allerdings wenig Fortschritte zu machen.«
»Einer muß den ersten Schritt tun«, sagte David ernst. »Vielleicht würde sie reagieren, wenn du dir die Mühe machtest, deine Gefühle unter Beweis zu stellen.«
»Wie denn? Nefret würde sich vor Lachen krümmen, wenn ich mit Blumen in der Hand und blumigen Worten auf meinen Lippen aufkreuzte.«
»Vermutlich ja«, stimmte ihm David zu. »Du scheinst keinerlei Probleme zu haben, andere Frauen für dich zu begeistern. Wie viele von denen hast du …«
»Diese Frage sollte kein Gentleman stellen und schon gar nicht beantworten«, sagte Ramses im gleichen verhaltenen Tonfall wie seine Mutter, allerdings umspielte seine Lippen ein Lächeln. »Ich könnte es Nefret nicht übelnehmen, wenn sie sich – äh – mit anderen Männern amüsierte. Es wäre schmerzvoll für mich, aber ich bin nicht so eifersüchtig, daß ich sie deshalb verachten würde. Und ich würde ihr niemals im Weg stehen, wenn sie einen Mann ernsthaft liebte, der ihrer würdig ist.«
»Wirklich nicht?«
Nur Verliebte und Todfeinde sehen einander direkt in die Augen.
War das wieder einer der berühmten Aphorismen seiner Mutter? Es klang zumindest so, wie sie sich äußern würde; und als sein Blick dem seines Freundes unbeirrt standhielt, erschauerte Ramses. David senkte den Blick und verschränkte seine Arme vor der Brust, als fröstelte er plötzlich.
Nach einer Weile sagte Ramses: »Meine Schauspielerei muß dir doch fürchterlich auf die Nerven gehen.« »Alles, was dir wichtig ist, Ramses, ist auch mir wichtig. Das weißt du. Ich wünschte nur, ich könnte …«
»Du siehst müde aus. Warum gehst du nicht schlafen?«
»Ich bin nicht müde. Aber wenn du nicht mehr darüber sprechen willst …«
»Du kennst doch die ganze Geschichte. Vermutlich in- und auswendig.« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Gute Nacht, David.«
Leise schloß sich die Tür. Eine ganze Weile blieb Ramses reglos sitzen. Sein plötzlich aufkeimendes Mißtrauen war verachtenswert und entbehrte jeder Grundlage. Ein einziger Blick, der veränderte Tonfall, mit dem auf seine Äußerung reagiert wurde: »Ich würde ihr niemals im Weg stehen, wenn sie einen Mann ernsthaft liebte, der ihrer würdig ist …« David war ihrer würdig. Und auch Nefret hielt David keineswegs für minderwertig. Genausowenig wie Ramses. David war – vielleicht – ein gefährlicherer Gegner als alle anderen ihm bekannten Verehrer. Doch David würde sich aufgrund seines Charakters schuldig fühlen und beschämt sein, wenn er sich zwischen seinen besten Freund und das von diesem begehrte Mädchen stellte.
Am folgenden Morgen nahmen wir unsere Arbeit auf. Die anderen Mitglieder der Englischen Gesellschaft von Luxor feierten vermutlich den 2. Weihnachtstag, aber ich hatte es schon schwer genug gehabt, Emerson davon zu überzeugen, überhaupt Weihnachten zu feiern, da er das für ein Heidenfest hielt. »Warum winden wir uns nicht einfach einen Mistelzweig um den Kopf und bringen dem Sonnengott ein Opfer
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