Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
Schwierigkeiten, das war ihr klar, und es war ihr Fehler, daß sie sie nicht begleitet hatte, und jetzt mußte etwas geschehen.
»Aber was?« wollte ich wissen, während ich sie nachdenklich beobachtete, als sie ruhelos im Zimmer auf und ab schritt. Sie trug immer noch ihre Arbeitsbekleidung, und ihre schweren Stiefel polterten über den Steinboden. Horus hatte die Geduld mit ihr verloren, da sie sich nicht hinsetzte und ihm ihren Schoß zur Verfügung stellte; als sie an ihm vorüberging, hob er seine Pfote und schlug seine Krallen in ihr Hosenbein. Wortlos schüttelte sie ihn ab und setzte ihr nervöses Auf und Ab fort.
»Sie zu suchen hat keinen Sinn«, beharrte ich. »Wo sollten wir anfangen?«
Emerson klopfte seine Pfeife aus. »Im Tempel. Lassen wir das Abendessen ausfallen, wir haben ohnehin alle keinen Appetit. Wenn ich dort keine Spur von ihnen finde, komme ich sofort zurück, das verspreche ich.«
»Aber nicht allein«, sagte ich. »Ich komme mit.«
»Kommt gar nicht in Frage.«
Ohne die sprichwörtliche Gelassenheit an den Tag zu legen, diskutierten wir die Sache, bis mich Emerson plötzlich mit einer Geste seiner Hand zum Schweigen gemahnte. In die entstandene Stille hinein hörten wir es – das Donnern galoppierender Hufe. »Da«, sagte Emerson, während seiner Heldenbrust ein tiefer Seufzer der Erleichterung entwich. »Da sind sie. Ich werde mit den jungen Männern ein Wörtchen zu reden haben. Dich so zu erschrecken! Wenn das nicht Risha ist, habe ich keine Ahnung von Pferden.«
Es war Risha, schnell wie der Wind. Er hielt plötzlich inne und blieb tänzelnd stehen. Der Sattel war leer, und das zerrissene Ende eines Seils hing um seinen Hals.
Mein geliebter Emerson ergriff die Initiative. In weniger als zehn Minuten saßen wir abmarschbereit auf unseren Pferden. Nefret wollte Risha reiten, doch Emerson hielt sie in dem Wissen davon ab, daß sie uns abhängen würde. Allerdings war das edle Tier nicht zu bremsen. Intelligent und treu wie ein Hund führte der Hengst uns den Weg zurück, den er im fliehenden Galopp genommen hatte. Wie erwartet führte er zum Tempel von Seti I. Wir fanden Asfur, Rishas Gefährtin, die immer noch an einem Baum in der Nähe der Quelle nördlich des Tempels angebunden stand. In einer der Kammern nahe der Säulenhalle sprang eine magere Katze fauchend in Deckung, als sie den Schein unserer Kerzen bemerkte. Sie hatte die Essensreste unserer Jungen vertilgt. Auf der Erde standen ihre Rucksäcke. Ihre Zeichenmaterialien hatten sie bereits zusammengepackt, also mußten sie im Begriff gewesen sein, den Tempel zu verlassen, und waren dann aufgehalten worden. Im Tempel und in dessen Umgebung fanden wir keinerlei Hinweise. Die Fackeln und Kerzen leuchteten nicht hell genug, um Fuß- oder Blutspuren erkennen zu können. Wir konnten nichts anderes tun, als nach Hause umzukehren.
Emerson war jetzt derjenige, der nervös auf und ab schritt; Nefret saß ganz ruhig da, hatte die Hände gefaltet und hielt den Blick gesenkt. Schließlich sagte Emerson: »Sie haben den Tempel nicht aus freien Stücken verlassen. Ansonsten hätten sie ihre Pferde nicht zurückgelassen.«
»Ganz offensichtlich nicht«, sagte ich. »Ich reite nach Gurneh und werde Selim und Daoud holen – nein, nicht Abdullah, die Sorge und Aufregung wären schädlich für ihn.«
»Peabody, du wirst nirgendwohin reiten. Und du auch nicht, Nefret; bleib hier und versuche, deine Tante Amelia in Schach zu halten. Das ist eine verflucht schwierige Aufgabe, glaub es mir. Ich werde zur Dahabije reiten. Die Chance ist zwar gering, aber irgend jemand hat die beiden vielleicht gesehen. Ich werde Rais Hassan und einige Mitglieder der Besatzung mitbringen, und dann überlegen wir die weiteren Schritte.«
Eine weitere gräßliche Stunde verstrich. Emerson kehrte nicht zurück. Statt dessen tauchte Rais Hassan mit einer Nachricht von meinem Gatten bei uns auf. Irgend jemand hatte behauptet, die Jungen auf ihrem Weg zur Fähre gesehen zu haben. Falls sie nach Luxor übergesetzt hatten, würde er diese Spur verfolgen. Mahmud war bei ihm, und Rais Hassan würde bei uns bleiben. Nefret blickte weder auf, noch reagierte sie in irgendeiner Form. Während der vergangenen Stunde hatte sie absolut reglos verharrt. Plötzlich sprang sie auf; Horus, der auf ihrem Schoß gedöst hatte, rutschte ab und fiel zu Boden. Durch sein wütendes Fauchen hörte ich, wie sie sagte: »Ruhe. Da kommt jemand.« Der Reiter preschte im Galopp näher, und
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