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Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden

Titel: Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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die bedauernswerten Burschen, dass die Dinge eine unangenehme Entwicklung nahmen. Gleichwohl war mir gewärtig, dass er von ihnen keine Hilfe erwarten durfte; bei der ersten sich bietenden Gelegenheit würden sie flüchten wie Kaninchen, denn keiner von ihnen wäre so mutig, einen Bewaffneten anzugreifen.
    Kuentz befahl Cyrus, Emerson und mir, uns vor das Felsgestein zu stellen, und positionierte sich dann weit genug von uns entfernt, dass selbst Emerson ihn nicht mit einem Satz zu packen vermocht hätte. »In Ordnung, Selim«, sagte er. »An die Arbeit. Eine falsche Bewegung und ich drücke ab.«
    Selims zusammengepresste Lippen zuckten. »Ich gehorche dem Vater der Flüche. Wir werden den Korridor für ihn freilegen. Komm, Daoud.«
    »Ja. Aus dem Weg«, setzte Daoud hinzu und schob die angeheuerten Dorfbewohner von der Öffnung weg. Es blieb nicht mehr viel zu tun. Sie mussten noch vor Tagesanbruch begonnen haben und der Stollen war nicht tief. Ich konnte Daouds Schopf sehen, als er den tiefsten Punkt erreicht hatte. Neben der Öffnung flach auf dem Boden liegend, leuchtete Selim mit seiner Taschenlampe nach unten, während Daoud einen Korb nach dem anderen füllte und nach oben reichte. Es bedurfte jeweils zweier Arbeiter, um einen Korb zu tragen, den er mit einer Hand hochgehievt hatte.
    »Er ist geräumt.« Seine Stimme hallte durch den Schacht. »Da ist eine Kammer neben …«
    »Komm hoch!«, brüllte Kuentz. Sein Gesicht glühte, und für Augenblicke sah ich wieder den strebsamen jungen Wissenschaftler vor mir, der er gewesen war, bevor seine Habgier und – wie ich zunehmend mehr vermutete – noch etwas anderes die Oberhand gewannen. »Ladies first, was, Mrs Emerson? Daoud, hilf ihr nach unten. Der Rest rührt sich nicht von der Stelle!«
    Emerson murmelte einen Protest, aber keine zehn Pferde hätten mich davon abbringen können. Wie schon so oft umspannte Daoud meine Handgelenke mit seinen Riesenpranken und senkte mich langsam und behutsam nach unten, bis meine Füße den unbehauenen Stein berührten – das Ende des Schachts. Die Öffnung rechter Hand am Boden war kaum 1,50 Meter hoch. Ich vermochte nichts zu erkennen.
    »Mr Kuentz, ich brauche Licht!«, rief ich. »Sie haben mir meine Taschenlampe weggenommen.«
    »Ach ja, richtig. Selim, gib ihr deine.«
    Daoud reichte sie zu mir hinunter. Ich musste mich bücken, um den kurzen Gang zu passieren. Als er endete, richtete ich mich vorsichtig auf.
    Es war kein Grab. Es war ein Schrein. An der gegenüberliegenden Wand stand, gehüllt in verwittertes, vergilbtes Leinen, die Gottheit. Der Schein der Taschenlampe spiegelte sich in den weichen, goldenen Linien des Gesichts; die Augen – Einlegearbeiten aus Kristall und Obsidian – erwiderten mein ungläubiges Starren mit gleichmütiger Ruhe. Er war gekrönt mit Federn aus Gold, Lapislazuli formte seine Brauen, und zu seinen Füßen lagen goldene Gefäße, welche die zu Staub verfallenen Überreste seiner letzten Opfergaben bargen: Amun-Re, Herrscher von Karnak, König der Götter, Herr der Stummen.

18. Kapitel
Aus Manuskript H
    Es gestaltet sich schwierig, klar zu denken, wenn man mit hängendem Kopf über einem zuckenden Etwas baumelt, das Gesicht mit einem kratzigen Tuch bedeckt. Nefret unternahm den misslichen Versuch, sich zur Wehr zu setzen. Noch bevor ihr Kopf gepackt und gegen einen harten Gegenstand geschleudert wurde, wusste sie, dass das ein Fehler gewesen war.
    Als sie das zweite Mal ihr Bewusstsein wiedererlangte, hing sie immer noch kopfüber, von Kopf bis Fuß in eine Decke eingewickelt. Diesmal war es kein Pferd, sondern eine Männerschulter. Nach wenigen Schritten ließ er sie auf eine unebene Oberfläche sinken, die modrig roch, und entfernte das Tuch.
    Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand, indes erkannte sie ihren Häscher in Sethos’ Beschreibung wieder. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem grotesken Grinsen, verzerrt von den Narben, die seine Wangen verunstalteten. Das Grinsen und die Hand, die ihr das Haar aus dem Gesicht strich, jagten ihr eine Gänsehaut über den Rücken. »Bleib still liegen«, sagte er sanft. »Ich komme wieder.« Er verschwand durch die Tür und ließ diese offen.
    Ihre Hand- und Fußgelenke waren gefesselt, in ihrem Mund steckte ein Knebel. Sie fing an, ihre Hände zu winden, bemühte sich, die Fesseln zu lösen, wie Ramses es ihr gezeigt hatte. Bitte lass ihn leben, flehte sie. Gott, Allah, Amun-Re, der die Worte der Stummen erhört, egal wer …

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