Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
verdüsterte das strahlende Blau des Himmels, Stimmen erhoben sich zu einem der Lieder, mit denen die Ägypter ihre Arbeit untermalen. Als wir die Stelle erreichten, bot sich uns ein dermaßen grotesker Anblick, dass wir abrupt stehen blieben.
Im Hintergrund grub eine Gruppe von Männern und schaffte Geröll fort. Im Vordergrund, etwas abseits von Staub und Schutt, war ein kleiner Verschlag aus einem kräftigen Holzgestänge mit einem Dach und Seitenteilen aus Segeltuch aufgebaut. Zwei der Seitenteile waren hochgerollt, und unter dem Baldachin thronten in bequemen Armlehnsesseln die drei Albions. Orientteppiche bedeckten den Boden; auf einem Tisch standen diverse Speisen und Getränke, die ein Diener mit Turban und Fliegenklatsche bewachte. Ein weiterer Diener schwenkte einen Fächer über Mrs Albion. Sie trug ein Ensemble, angemessen für eine Teeparty im Buckingham Palast, und einen Hut mit Chiffonschleier. Mr Albions Wahl war auf das gefallen, was er für die typische Archäologenkleidung hielt: Reithose und Stiefel, Tweedsakko und riesiger Sonnenhut. Sein Sohn hatte sich ähnlich ausstaffiert, indes – um einiges größer als Albion senior – war die Ähnlichkeit mit einem Pilz nicht gar so verblüffend.
Einer der Arbeiter trottete zu Mr Albion, einen Gesteinsbrocken in der Hand. Albion nahm ihn, starrte darauf und warf ihn weg. Erst darauf geruhte er, uns zu bemerken.
»Morgen, Leute. In aller Herrgottsfrühe unterwegs, was?«
»Nicht so zeitig wie Sie«, versetzte Emerson, der mit gestrafften Schultern und unheilvoller Miene näher trat. »Ich glaube, Sie wissen, dass Sie Lord Carnarvons Firman verletzen. Beenden Sie sofort Ihre Exkavation.«
»Wer sagt das?«, erkundigte sich Mr Albion. Er wirkte wie ein Cherub mit seinen zwinkernden Augen, die Backen aufgeblasen. »Sie?«
»Jawohl.« Emerson nickte bekräftigend. »Oh, ja.«
»Vater, darf ich?« Sebastian Albion hatte sich erhoben. »Nicht jeder schätzt deinen Sinn für Humor. Wollen wir uns nicht setzen, Ladies und Gentlemen, und die Sachlage diskutieren? Mrs Emerson, bitte, nehmen Sie meinen Stuhl. Tut mir Leid, aber alle anderen werden sich – äh –«
»Hinhocken müssen«, sagte Nefret und ging mit gutem Beispiel voran. »Wollen mal hören, was sie uns zu sagen haben, Vater. Es dauert nicht lange und könnte ganz amüsant sein.«
»Einverstanden«, sagte Ramses und sank geschmeidig neben Nefret auf dem Teppich in den Schneidersitz.
»Amüsant«, wiederholte Mr Albion. »Ja, Sir, das ist unser Lebensmotto, immer guter Dinge und freundlich zu sein. Hier, junge Dame, nehmen Sie meinen Stuhl. Wie ich höre, hatten Sie eine schwere Zeit.«
Jumana schien genauso verblüfft wie wir alle. So viel Höflichkeit war nicht nur ungewöhnlich, sondern im höchsten Maße verdächtig.
»Nein, danke«, stammelte sie. »Sir.«
»Ich bestehe darauf.« Er sprang auf, sein Gesicht in unzählige Lachfältchen gelegt. »Sebastian, überrede du sie.«
»Mit Vergnügen.« Der junge Mann bot ihr seine Hand. Errötend senkte Jumana den Kopf.
»Setz dich, Jumana«, befahl ich. »Wenn Mr Albion schon so nett ist, dir seinen Platz anzubieten.«
Mrs Albion ignorierte dieses kleine Zwischenspiel. Sie beugte sich vor, und zum ersten Mal gewahrte ich einen freundlichinteressierten Zug an ihr. »Was für eine schöne Katze. Wie heißt sie denn?«
»Die Große Katze des Re«, erwiderte ich. »Aber Sie würden sie vermutlich Fluffy nennen.«
Mr Albion kicherte. »Nein, sie gibt ihren Katzen eher Namen wie Großherzogin Olga von Albion. Ist verrückt auf diese Tiere. Ich kann damit leben, wenn sie ihren Spaß daran hat.«
»Und jetzt zur Sache«, tönte Emerson. »Verflucht, ich habe keine Lust, den ganzen Morgen über Katzenviecher zu diskutieren. Was denken Sie eigentlich, was Sie hier machen?«
Sebastian Albion nahm seine Brille ab, wischte sie an einem Taschentuch und setzte sie wieder auf. »Wie Sie zweifellos bemerkt haben, Sir, legen wir das Grab von Prinz Mentuschepseskaf frei. Es wurde von Belzoni entdeckt und 1905 von –«
»Erzählen Sie mir keine Fakten, die ich besser kenne als Sie«, unterbrach Emerson ärgerlich. Allmählich wurde er hellhörig; die Albions waren so überfreundlich, dass sein Zorn nachließ. Überdies hatte Sebastian den Namen des Prinzen korrekt betont. Er hatte mehr Ahnung von der Ägyptologie, als Emerson ihm zugetraut hätte.
»Was hoffen Sie hier zu finden?«, fuhr Emerson fort. »Das Grab ist leer. Ayrton, der 1905 hier war,
Weitere Kostenlose Bücher