Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
Tarek.«
»Du wirst sie wiedersehen, und zwar schon bald«, gab ich optimistischer zurück, als mir zumute war. Der Angriff sollte bei Sonnenuntergang stattfinden. Der westliche Himmel war golden überhaucht. Falls Emerson mit seinem Plan Erfolg hatte, fände keine kriegerische Auseinandersetzung am Pass statt und er würde bald wieder hier sein.
Ob nun Sieg oder Niederlage – und ich zweifelte keine Sekunde lang daran, dass wir letztendlich gewinnen würden –, Emerson würde mich finden und feststellen, dass ich einen klaren Kopf behalten hatte. Ich straffte die Schultern und drückte zuversichtlich Nefrets Hände.
»Ich verlasse mich darauf, dass du meine Anweisungen schnell und exakt befolgst, mein Kind. Keine Sorge, ich habe alles genauestens durchdacht.«
Als Bakamani zurückkehrte, wurden die Schatten bereits länger, und es war angenehm kühl im Raum. Er schien ungemein aufgebracht und wir debattierten ziemlich heftig wegen der von mir vorgebrachten Wünsche. Schließlich meinte ich an unsere Leute gewandt: »Ihr dürft uns begleiten, aber ihr müsst die Waffen hier lassen – du dein Messer, Selim, und Sie die Schere, Captain.«
»Aber Ma’am, wie sollen wir Sie ohne Waffen verteidigen?«, erregte Moroney sich. »Ich habe Ramses versprochen –«
»Vergessen Sie’s. Tun Sie, was ich sage.«
Daoud hüstelte leise. »Sitt Hakim«, begann er, unterdessen legte er seine Hand auf seine Robe.
»Nein«, sagte ich hastig. »Nein, Daoud. Befolge meine Anweisungen.«
»Aha.« Er nickte. »Ja.«
Der zarte Hinweis, dass Daoud eine Waffe unter seinem Gewand verbarg, tröstete Selim etwas, gleichwohl trennte er sich erkennbar ungern von seinem Messer. Bakamanis Aufforderung zur Eile ignorierend, sammelte ich meine Truppen zwecks Begutachtung und war angenehm überrascht. Moroney, auf meine Bitte hin frisch rasiert, trug einen Tweedanzug von Ramses, der ihm fraglos etwas zu lang und zu weit war.
Selim und Daoud präsentierten sich in blütenfrischen Galabijen mit Festtagsturban. Ersterer hatte sich mit diversen Pektoralen und Armreifen geschmückt, an denen er inzwischen Gefallen fand. Ich stupste Nefret verstohlen an. »Halt dich tapfer«, raunte ich ihr zu. »Und rück die Perücke gerade.«
Als wir aufbrachen, war es dämmrig im Raum. Vermutlich versank die Sonne soeben langsam am Horizont. Die nächsten ein bis zwei Stunden würden unser Schicksal bestimmen.
Geschätzte Leser, seien Sie versichert, ich hatte einkalkuliert, dass Zekare uns als Geiseln nehmen könnte, falls Tareks siegreiche Truppen den Palast stürmten. In letzter Konsequenz rechnete ich zwar nicht damit, hatte allerdings auch keineswegs die Absicht, mich dem Tyrannen auf Gedeih und Verderb auszuliefern. Dummerweise hinkte meine Logik, zumal ich die weitere Entwicklung nicht unbedingt ahnte.
Als man uns in den Audienzsaal geleitete, erwartete uns dort nicht Zekare am Fenster der Erscheinung.
Adlige, Priester, Soldaten und die königlichen Wachen drängten sich im Raum. Der Hofstaat wich zurück, gab uns den Weg zum Thron frei. Darauf saß, im königlichen Ornat und mit Krone, Merasen.
»Wo ist Euer Vater?«, fragte ich.
»Mein Vater ist tot. Und wo ist der Vater der Flüche?«
Konnte diesen infamen Selbstdarsteller denn nichts erschüttern?, überlegte ich im Stillen. Diese Nachricht, die mich fast umwarf, berührte ihn nicht die Spur.
»Ich weiß nicht«, stammelte ich. »Was soll das heißen, tot? Wie? Wann?«
»Ermordet«, erwiderte Merasen kalt. »Von meinen Brüdern. Sie wurden inzwischen auch getötet, auf mein Geheiß, für diese Schandtat. Ich bin König der Heiligen Stadt. Und Ihr werdet mich bei Mondaufgang dazu ernennen, meine Dame, Ihr und sie, die jetzt Hohepriesterin der Isis ist.«
Auf sein Zeichen hin trat ein Priester mit der weißen, golddurchwirkten Robe der Hohepriesterin vor.
»Zieht sie an, Nefret«, sagte Merasen milde.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, niemals wieder.«
»Es ist das letzte Mal«, meinte Merasen sanft. »Morgen nehmt Ihr eine andere Stellung ein. Dann bekommt Ihr prachtvollere Gewänder.«
Rasender Zorn überlagerte meine kurzzeitige Benommenheit. Ramses hatte letztlich Recht behalten. Der junge Schurke wollte den Thron und Nefret. Die Liebe spielte dabei eine untergeordnete Rolle – derartige Empfindungen waren ihm vermutlich ohnehin fremd. Stattdessen war sie das Symbol seines Sieges über uns und über seine Gegner.
Ich weiß nicht, ob Nefret die Tragweite seiner Worte überhaupt
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