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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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hatte drei, vier und dann nochmal drei Männer für sie ausgesucht, und die waren nun fort. Den Fremden aus dem Süden hatte er nicht ausgewählt, und es warteten noch zehn Männer, die vor ihm eingetroffen waren. Aus dem Augenwinkel sah América, wie der Fremde mit Candelario Pérez stritt - sie konnte nicht hören, was er sagte, aber die heftigen Gesten und die verzerrten Züge seines halben Gringogesichts zeigten zur Genüge, daß er nicht bereit war zu warten, bis er an die Reihe kam, daß er ein Nörgler, ein Streithammel, ein Miesepeter war. »Du Hurensohn!« hörte sie ihn sagen und schlug dabei die Augen nieder. Bitte, betete sie, bitte laß ihn nicht zu mir herüberkommen.
    Aber er kam. Er hatte ihr einen Kaffee gebracht - den Beweis hielt sie noch in der Hand, den bis auf den letzten zuckersüßen koffeinhaltigen Tropfen geleerten Styroporbecher -, also war sie seine Verbündete. Sie saß an ihrem üblichen Platz gleich beim Eingang, den Rücken gegen einen Pfosten gepreßt, jederzeit bereit aufzuspringen, sobald ein Gringo oder eine Gringa käme und eine Putzfrau, Köchin oder Wäscherin suchte, und der Fremde ließ sich neben ihr nieder. »Hallo, Süße«, sagte er, und seine Stimme klang pfeifend und heiser, als hätte er einen Stich in die Luftröhre bekommen: »Und? Schmeckt der Kaffee?«
    Sie weigerte sich, ihn anzusehen. Oder zu antworten.
    »Hab dich schon gestern gesehen«, fuhr er fort, seine Stimme zu schrill, zu krächzend, »und da hab ich mir gesagt: ›Das ist 'ne Frau, die aussieht, als ob sie 'nen Kaffee gebrauchen könnte, eine Frau, die 'nen Kaffee geradezu verdient hat, eine so hübsche Frau, daß sie die ganze Plantage kriegen sollte‹, deshalb hab ich dir heute einen mitgebracht. Na, was sagst du dazu, linda ?« Und dabei berührte er sie mit zwei schmutzigen, harten Fingern am Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich herum.
    Zerknirscht und schuldbewußt, wie sie war - sie hatte seinen Kaffee genommen, oder? -, widersetzte sie sich nicht. Die eigenartigen, lohbraunen Augen starrten sie an. »Danke«, flüsterte sie.
    Daraufhin grinste er, und sie sah, daß mit seinen Zähnen etwas nicht stimmte, sie sahen fürchterlich aus, jeder sichtbare Zahn war von einem Netzwerk aus Haarrissen gezeichnet, wie ein altes Gemälde in der Kirche. Ein Gebiß, dachte sie, ein ganz billiges. Und dann atmete er aus, und sie mußte sich abwenden - irgend etwas in seinem Inneren roch faulig. »Me llamo José«, sagte er und hielt ihr die Hand entgegen, »José Navidad. ¿Y tú? ¿Cómo te llamas, Süße?«
    Sie war in einer bösen Lage. Der Mann war böse. Sie dachte an Cándido und biß sich auf die Zunge.
    »Komm schon«, beschwatzte sie der Mann mit seiner seltsamen, gepreßten hohen Stimme, »komm, entspann dich, Baby. Ich beiß dich nicht. Bin ein netter Kerl - magst du nette Kerle denn nicht?« Dann änderte sich sein Ton, senkte sich abrupt zu einem Knurren. »Aber Kaffee magst du, oder?«
    »Na gut«, sagte sie und spürte dabei die Wut in sich aufwallen, als sie aufstand und sich den Staub vom Kleid klopfte. »Ich mag Kaffee, und ich danke Ihnen, danke Ihnen nochmals, aber Sie sollen wissen, daß ich eine verheiratete Frau bin und daß es nicht recht ist, wenn Sie so mit mir sprechen ...«
    Er saß auf dem Boden, schlaksig, die knotigen Fäuste um die Knie geschlungen, seine langen, dürren Beine steckten in Bluejeans, und er lachte nur, lachte, bis ihm die Tränen in die Augen schössen, und da wußte sie, daß er verrückt war, loco, wahnsinnig, und sie wollte sich gerade abwenden, um bei Candelario Pérez Schutz zu suchen, als er sie am Fußgelenk packte - er griff einfach zu und hielt fest. »Verheiratete Frau«, höhnte er, und jetzt klang seine Stimme wieder schrill und krächzend. »Kann schon sein.« Dann ließ er ihren Fuß los. »Aber nicht mehr lange, Süße, nicht mehr lange.«
    Später, so gegen neun oder halb zehn, fuhr ein neues, glänzendes, teures Auto auf den Platz, dessen luxuriösem Inneren ein dicker Mann entstieg - ein Riese von einem Dicken, ein wahrer guatón. Candelario Pérez sprach ihn auf englisch an, der Mann gab etwas Langes, Kompliziertes zur Antwort, und dann - o Wunder über Wunder - blickte Candelario Pérez zu ihr hinüber und rief ihren Namen. Aufgeregt, schüchtern, bebend und hungrig ging sie über den Platz, spürte aller Augen auf sich, spürte den Neid, ja den Haß der anderen - sie hatte einen Job, und die nicht. Doch genau in dem Moment, als sie vor dem

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