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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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sehen.
    Ich hab kein Foto, sagte sie dann. Ihre Stimme wurde dabei leise und grimmig, aber er wusste, wenn er weiter Fragen stellte, würde sie anfangen zu schreien oder ihn sogar zu schlagen, aber er wusste genau, dass er nicht aufhören würde zu fragen, daher wandte er sich ab und ging weiter den Tunnel hinunter.
    Der Pfad, dem er folgte, wand und schlängelte sich und bog sich in sich selbst zurück, und Shadow musste an Schlangenhäute denken, an Gedärme und tiefe, tiefe Baumwurzeln. Zur Linken kam jetzt ein Tümpel: Er hörte, wie irgendwo hinten im Tunnel das Wasser hineintropfte, aber die spiegelglatte Oberfläche des Tümpels wurde davon kaum gekräuselt. Er kniete nieder und trank, schöpfte das Wasser mit der Hand an die Lippen. Dann ging er weiter, bis er im kreisenden Lichterglanz einer großen Diskokugel stand. Es war, als würde er sich genau im Mittelpunkt des Universums befinden, umkreist von sämtlichen Sternen und Planeten, aber er konnte nichts hören, weder die Musik noch die gegen die Musik angebrüllte Unterhaltung, und jetzt starrte Shadow auf eine Frau, die so aussah, wie seine Mutter nie ausgesehen hatte, so lange er sie kannte, sie ist schließlich nicht viel mehr als ein Kind …
    Und sie tanzt.
    Shadow stellte fest, dass er nicht im Geringsten überrascht war, als er den Mann erkannte, der mit ihr tanzt. Er hatte sich in den dreiunddreißig Jahren nicht sehr verändert.
    Sie ist betrunken: Shadow sah das auf den ersten Blick. Nicht sehr betrunken, aber sie ist das Trinken nicht gewöhnt, und in einer Woche oder so wird sie das Schiff nach Norwegen besteigen. Sie haben Margaritas getrunken, sie hat Salz an den Lippen und auch an ihrem Handrücken klebt noch Salz.
    Wednesday ist nicht in Schlips und Anzug, aber die Krawattennadel in Form eines silbernen Baumes, die er über der Brusttasche seines Hemds trägt, funkelt und glitzert, wenn das Licht der Spiegelkugel darauf fällt. Sie bilden ein hübsches Paar, wenn man den Altersunterschied bedenkt. Wednesdays Bewegungen sind von wölfischer Anmut.
    Ein langsamer Tanz. Wednesday zieht sie an sich, mit der prankenartigen Hand streicht er besitzergreifend über die Gesäßpartie ihres Rocks und drückt sie noch enger an sich. Mit der anderen Hand ergreift er ihr Kinn, drückt es aufwärts seinem Gesicht entgegen, und die beiden küssen sich dort auf der Tanzfläche, während das Glitzerkugellicht sie in den Mittelpunkt des Universums kreisen lässt.
    Bald darauf gehen sie. Sie stößt schwankend gegen ihn, und er führt sie aus dem Tanzsaal hinaus.
    Shadow vergräbt den Kopf in den Händen und folgt ihnen nicht, unfähig oder Unwillens, Zeuge seiner eigenen Empfängnis zu werden.
    Die Spiegellichter waren verschwunden, und die einzige Lichtquelle war jetzt der winzige Mond, der hoch über ihm schien.
    Er ging weiter. In einer Kurve blieb er für einen Augenblick stehen, um Atem zu schöpfen.
    Er fühlte eine Hand, die ihm sanft über den Rücken strich, und sanfte Finger, die ihm durchs Haar am Hinterkopf fuhren.
    »Hallo«, flüsterte eine rauchige, katzenartige Stimme ihm über die Schulter zu.
    »Hallo«, sagte er und drehte sich zu ihr um.
    Sie hatte braunes Haar und braune Haut, ihre Augen besaßen den tiefgoldenen Bernsteinton von gutem Honig. Ihre Pupillen waren vertikale Schlitze. »Kennen wir uns?«, fragte er verwirrt.
    »Inniglich«, sagte sie lächelnd. »Ich habe immer auf deinem Bett geschlafen. Und mein Volk hat für mich immer ein Auge auf dich gehabt.« Sie wandte sich dem Pfad zu, der vor ihm lag und zeigte auf die drei Wege, die er einschlagen konnte. »Okay«, sagte sie. »Der eine Weg macht dich weise. Der andere macht dich heil. Und der dritte wird dich töten.«
    »Ich bin doch schon tot, dachte ich«, sagte Shadow. »Ich bin am Baum gestorben.«
    Sie warf die Lippen auf. »Tode«, sagte sie, »gibt es solche und solche. Das ist alles relativ. Also, in welche Richtung willst du gehen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte er ratlos.
    Sie legte den Kopf zur Seite, wie nur Katzen es können. Plötzlich erinnerte sich Shadow an die Klauenspuren an seiner Schulter. Er fühlte, wie er errötete. »Wenn du mir vertraust«, sagte Bastet, »kann ich die Wahl für dich treffen.«
    »Ich vertraue dir«, sagte er, ohne zu zögern.
    »Willst du wissen, was es dich kosten wird?«
    »Meinen Namen habe ich bereits verloren«, teilte er ihr mit.
    »Namen kommen und gehen. Hat es sich gelohnt?«
    »Ja. Vielleicht. Es war nicht einfach. Die

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