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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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wie sich die Initiative nennt, hält nicht nur viele Familien in der Stadt, sondern zieht sogar neue an. Doch trotz des »Versprechens« ist auch in Kalamazoo, wie in den meisten der Kleinstädte hier, ein großer Teil des lokalen Gewerbes verschwunden. Und das eigenwillige Herz der Stadt wurde fachmännisch herausgeschnitten.
    Sonntag in Kalamazoo. Ich gehe wieder in eine Kirche, diesmal in die der Netherlands Reformed Church, vor langer Zeit von niederländischen Einwanderern gegründet, aber schon seit mindestens hundert Jahren englischsprachig. Sonst würde ja niemand mehr den Gottesdienst besuchen, vor allem keine jüngeren Menschen. In Europa sind die großen Kirchen seit langem gefestigte Institutionen, nicht selten auf unterschiedliche Weise mit dem Staat liiert, von ihm abhängig und Teil der etablierten Ordnung. In den Vereinigten Staaten dagegen sind fast alle Kirchen von unten her entstanden, geschaffen von Gläubigen, die sich freiwillig zu sogenannten congregations zusammengeschlossen haben.
    Die einzelnen Gemeinden der gleichen Konfession können sich von Ort zu Ort stark unterscheiden, und alle müssen sich selbst unterhalten – weshalb die Akquisition von Beiträgen und Spenden eine wichtige Aufgabe von Gemeindemitgliedern und vor allem Pfarrern ist. Soziologen sprechen von einem »lebhaften Religionsmarkt« mit regelrechten »Religionsunternehmern«, fortwährender »Produktinnovation« und »Konkurrenz« zwischen den lokalen Kirchen. Neben den zahlreichen konservativen und reaktionären Gemeinden existiert eine starke progressive Bewegung. In Werbefilmen präsentieren sich Kirchen mit einem breiten Spektrum an Einrichtungen und Aktivitäten, von Suppenküchen und Kleiderkammern für Bedürftige bis hin zu Hilfsprogrammen für Drogenabhängige, Waisen, Veteranen, Obdachlose und Häftlinge.
    Diese fortschrittlichen Gruppen sind empört darüber, dass sich die Republikaner als Partei der überzeugten Christen aufspielen, und haben im Jahr 2008 in einem »evangelischen Manifest« ausdrücklich gegen die Vermischung biblischer Wahrheiten und republikanischer Ansichten protestiert. Gläubige sollten Distanz zu Parteipolitik wahren, schrieben die Unterzeichner, »damit Christen nicht zu ›nützlichen Idioten‹ dieser oder jener politischen Partei werden«.
    Von diesen Konflikten ist bei der Netherlands Reformed Church wenig zu spüren, von »Produktinnovation« erst recht nicht. Die Gemeinde gehört zu den Netherlands Reformed Congregations, einem Kirchenverband mit gut zehntausend Mitgliedern, amerikanisch und dennoch durch und durch holländisch. Die Kirchgänger, stelle ich beim Einbiegen auf den Parkplatz fest, sehen aus, als wären sie auf dem Weg zu einer Beerdigung, die Männer in schwarzen Anzügen, die Frauen mit teilweise eleganten schwarzen Hüten, viele Mädchen tragen ein Strohhütchen. Am Eingang steht der Küster, ein freundlicher Rotterdamer, der vor einem halben Jahrhundert nach Michigan ausgewandert ist. »Es kann heute etwas länger dauern, wir feiern Abendmahl, und davor gibt es eine Predigt«, flüstert er. »Wir sind eine ziemlich strenge Gemeinde, erschrecken Sie nicht.«
    Es ist eine solide kleine Kirche mit fast privatem Charakter, ein keckes Türmchen weist gen Himmel. Abgesehen von dem riesigen Parkplatz – die Gemeindemitglieder sind ausnahmslos mit üppigem irdischen Blech gesegnet – könnte sie auch in Zeeland oder auf einer der südholländischen Inseln stehen. Hier gibt es kein fröhliches Willkommen wie bei den Baptisten in Camden. Wenn man überhaupt von dem Fremden Notiz nimmt, späht man heimlich zu ihm herüber. In diesem Gotteshaus geht es um ernste Dinge, wird einem signalisiert: Gleich hält der Pfarrer eine Predigt, die sich gewaschen hat, darauf kannst du dich verlassen, alter Sünder!
    Man singt Lieder in ganzen Noten, langsam und schwerfällig – habe ich nicht in Urk am IJsselmeer vor vierzig Jahren solche Gesänge gehört? Die Kirchenältesten erheben sich, ein geschlossener schwarzer Block, und der Pfarrer betet für uns alle, » wretched hell deserving sinners «.
    Vor mir sitzt ein junges Paar, sie mit einem Strohhut, er steif im Anzug, sie drückt sich vorsichtig an seinen schwarzen Ärmel.
    Die Abendmahlsfeier. Ich werde in die Pelikaankerk von Leeuwarden im Jahr 1950 zurückkatapultiert. Der Pfarrer liest ein endloses Regelwerk vor, tatsächlich genau das gleiche wie vor sechzig Jahren, nur auf Englisch. An den Tisch des Herrn, so viel ist klar,

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