Amnion 2: Verbotenes Wissen
Geduld aufzubringen. Man verkaufte ihren Sohn den Amnion. Sie würden ihn ihren Untersuchungen unterwerfen, bis sie seine Psyche zerrüttet, seinen Geist ruiniert hatten, und ihn danach zu einem der ihren ummodeln. Es bestand einige Aussicht, daß sie ihn in eine verbesserte Ausgabe Marc Vestabules verwandelten. Einfach nur zu warten, hätte für Morn undenkbar sein müssen.
Doch so verhielt es sich nicht. Ihr Z-Implantat machte sie zu allem fähig.
Auf einer gewissen Ebene ihres Verstands hatte sie darüber Klarheit, daß die Emissionen zu ähnlicher Abhängigkeit führten wie eine Droge und vergleichbar destruktive Folgen nach sich ziehen mußten. Aber das spielte keine Rolle; ihre Effektivität stand fest. Sie hätte sich dadurch in Schlaf senken können. Oder sie hätte ihren Körper in einen Rauschzustand des permanenten Orgasmus hineinsteigern können, bis ihrem Gehirn eine Noradrenalin-Überschwemmung widerfuhr und alles, was sie je dachte oder fühlte, darin verkochte.
Doch ihr Vorhaben lief auf eine kompliziertere Form des Selbstmords hinaus.
Nach einigen Adjustierungen an ihrem schwarzen Kästchen entschwebte sie in eine Trance tiefster Konzentration, die ihrem Gemüt gleichermaßen zu Vitalisierung wie zu Frieden verhalf: eine Trance, die es ihr ermöglichte, sich an alles zu erinnern, was sie jemals über die Käptens Liebchen erfahren hatte, jeden Code, jede Befehlsfolge, jeden Verknüpfungsbefehl und ebenso sämtliche seitens Nicks gegen Station Potential getroffenen Vorkehrungen.
Statt aus Unruhe und Ratlosigkeit hysterisch zu werden, verbrachte sie ihre Zeit mit der Vorbereitung darauf, es mit dem gesamten Raumschiff aufzunehmen.
Versucht bloß, mir in die Quere zu kommen! Versucht es nur!
Sie kannte keinerlei Mäßigung mehr. Endlich konnte sie voll und ganz das sein, zu dem Angus Thermopyle sie deformiert hatte.
Das Z-Implantat duldete keine Zweifel. In ihrer Konzentrationstrance sah sie nur eines, das schiefgehen konnte.
Was sollte werden, falls Mikka ihr nicht Bescheid sagte, wenn der Austausch geschah?
Dann waren sie beide verloren, sie und Davies. Er bliebe bei den Amnion, und sie wäre bis zu ihrem Tod auf Nicks Gnade angewiesen.
Die Befürchtung, daß Mikka sie vergaß oder es sich anders überlegte, hätte genügen müssen, um Morns Verstand aus den Angeln zu heben.
Doch dazu kam es nicht. Furcht war eine menschliche Eigenschaft; Hysterie und Abscheu zählten zu den Schwächen des Fleischs und Bluts. Solche Empfindungen hatte sie längst hinter sich gelassen.
Das einzige Gefühl, das sie noch kannte, war ihr anhaltender, ungemäßigter Zorn.
Mikka ließ sie nicht im Stich. Beinahe zweieinhalb Stunden, nachdem Morn sich in ihre Kabine zurückgezogen hatte, läutete der Interkom-Apparat.
»Morn?« fragte die Erste Offizierin so leise, als ob sie flüsterte. »Morn?«
Fast zweieinhalb Stunden. Hatte diese Zeitspanne den Amnion genügt, um ihre Analysen von Nicks Blut auszuführen? Morn wußte es nicht. Für sie war es ein Rätsel, auf welchen Kulturen und wie die Amnion Proben dieser Art untersuchten.
»Morn?« wiederholte Mikka. Der winzige Interkom-Lautsprecher vermittelte nur eine Andeutung von Seelenpein. »Er ist fort.«
Nahezu zweieinhalb Stunden. Es mochte sein, daß die Amnion nicht mehr Zeit gebraucht hatten, oder nicht; für Morn jedenfalls hatte die Frist gereicht. Per Tastendruck beendete sie ihre Trance und versetzte sich statt dessen in eine Verfassung solchen Schwungs und derartiger Kraft, daß sie sich wie eine aufgeladene Materiekanone fühlte.
»Die Ersatzteile und Adapter sind uns geliefert worden«, fügte Mikka mit unsicherer Stimme hinzu. »Vector ist echt beeindruckt. Er meint, es ist alles beste Qualität. Er hat schon am Ponton-Antrieb zu arbeiten angefangen. Wenn die Teile so tadellos sind, wie sie aussehen, sagt er, können wir eventuell in ’ner halben Stunde durchstarten« – solange der Bordtechniker sich im Maschinenraum an den Aggregaten betätigte, konnte die Käptens Liebchen keinen der beiden Antriebe benutzen – »und in einer Stunde in die Tach wechseln.«
Möglicherweise bemühte sich Mikka, Morn zu trösten. Du hast deinen Sohn nicht vergeblich verlieren müssen. Jetzt haben wir wenigstens wieder eine Chance.
Morn gab keine Antwort. Soviel schuldete sie Mikka: Sie schützte Mikka, indem sie auf eine Antwort verzichtete. So konnte niemand beweisen, daß die Erste Offizierin mit ihr gesprochen hatte.
Sie preßte die Handteller
Weitere Kostenlose Bücher