Amnion 2: Verbotenes Wissen
erste Kursangleichung gegen sie aus.« Nick sprach in sachlichem Tonfall, aber der Ausdruck seiner Augen legte den Schluß nahe, daß Pastille möglicherweise nicht mehr lange zu leben hatte. »Ihr eigenes Trägsheitsmoment wird das Abfangmanöver vereiteln. Bist du jetzt zufrieden« – Nick äußerte das Wort, als wäre er ein Amnioni – »oder möchtest du abgelöst werden?«
Mit anderen Worten, überlegte Morn benommen, nach Beendigung der zweiten Kurskorrektur könnte die Stiller Horizont die Käptens Liebchen nur noch mit einer auf große Entfernung verschossenen Breitseite stoppen. Und ihr Ziel bewegte sich mit ungeheurer Schnelligkeit.
Nick hatte nicht vor, Davies auszuliefern.
Aus irgendeinem Grund war Morns Atem gestockt. Als die Kurskorrektur sich bemerkbar machte, kippte sie fast im Sitz zur Seite, nicht weil die G-Belastung so stark gewesen wäre, sondern weil es ihr ohnehin längst gründlich schwindelte. »Fertig«, meldete Pastille ein zweites Mal; seinem Tonfall war Besorgnis anzuhören.
»Jetzt!« befahl Nick per Interkom Mikka.
»Statik-Minen ausgestreut«, gab Mikka gleich darauf durch. »Laß mir noch zwanzig Sekunden Zeit, um die Schleuse zu schließen.«
»Geht klar«, sagte Nick, trennte die Verbindung.
Seine nächsten Worte galten der gesamten Brückencrew. »Von nun an gibt’s kein Zurück mehr. Kneifen ist nicht mehr drin. Wenn jemand Scheiße baut, geben wir den Löffel ab. Morn, finde raus, wie lange die Quallenschaukel braucht, um in Schußposition zu gelangen. Sobald sie dort merken, daß wir den Kurs nochmals korrigieren, kapieren sie, daß sie keine Möglichkeit mehr haben, uns abzufangen. Ich will, daß du berechnest, wann sie in die beste Schußposition gehen können. Allum, melde mir den exakten Zeitpunkt, an dem du sie ihre zweite Kursänderung einleiten siehst. Pastille, sobald ich’s befehle, gibst du Bremsschub in Stärke von einem Ge. Mehr nicht. Ich will den Gegenschub für eine Dauer von genau zehn Sekunden und danach beendet haben. Malda, wenn die zehn Sekunden vorbei sind, zündest du sofort die Statik-Minen. Morn?«
Morn bereitete es Schwierigkeiten, sich aufrechtzuhalten. Mir geht’s gut, wollte sie sagen, aber ihre Lippenbewegungen blieben stumm. Adrenalin schien durch ihr Gehirn zu sprühen, als ob winzige Sonnen explodierten, verzerrte ihre Sicht, lähmte ihr die Lungen. Entzugserscheinungen… Ihre von künstlicher Lenkung abhängig gewordenen Synapsen hatten anscheinend vergessen, wie sie allein funktionieren konnten. Morn erkannte nicht mehr den Unterschied zwischen den Anzeigen und ihren Alpträumen.
Morn, rette uns! flehte ihr Vater; oder ihr Sohn.
Ja freilich. Aber wie sollte sie das schaffen? Sie war nicht einmal sich selbst zu retten fähig. Sie erlebte eine Zersetzung ihrer selbst bis auf ihre subatomaren Partikel, die es dank Verrats in den unüberbrückbaren Abgrund zwischen ihrer Abhängigkeit und ihrer Sterblichkeit verwehte.
»Morn!« schrie Nick in plötzlichem Schrecken. »Finger von der Tastatur!«
Morn war nicht vom Hyperspatium-Syndrom befallen worden; doch Nick war mit einem Satz bei ihr, ehe sie eine Gelegenheit zur Klarstellung erhielt. Er packte ihre Handgelenke, riß sie von der Kontrollkonsole, stieß Morn in den Andrucksessel.
»Dann liegt’s wohl an dir, Pastille«, meinte gleichzeitig Liete in stoischer Ruhe. »Du kannst uns beweisen, daß es ’n Sinn hat, dich an Bord zu haben. Du brauchst nur zu berechnen, was das Kriegsschiff leisten muß, um die günstigste Schußmöglichkeit zu finden. Wenn du das deichselst, bitte ich Nick, dir zu verzeihen.«
»Mit mir ist nichts«, flüsterte Morn in Nicks verkrampfte Miene.
»Red keinen Stuß!« entgegnete er.
»Es ist nicht das Hyperspatium-Syndrom«, lallte Morn, weil es ihr zu sehr schwindelte und sie sich zu schwach fühlte, um zu lügen. »Es sind Entzugserscheinungen.«
Du denkst, ich wäre übel mit dir umgesprungen. Was glaubst du wohl, habe ich mit mir getan?
»Ich kann mein Dienst ausüben«, keuchte sie mit geschwollener Zunge.
»Quatsch!«
Morn sah nichts mehr außer dem verschwommenen, hellen Fleck von Nicks Gesicht.
»Vier Minuten.« Irgendwie drängte sich ihr aus dem Wirrwarr in ihrem Kopf diese Zahl auf. »Sie brauchen vier Minuten.«
»Ich will mal ’ne Schätzung wagen.« Im Hintergrund redete Pastille. »Sie beobachten unsere Kurskorrektur dreieinhalb Minuten nach Ausführung. Also dürfte es fünf Minuten dauern, bis sie ihre Kaffeemühle beigedreht
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