Amnion 2: Verbotenes Wissen
hatte.
Als letzte Maßnahme verschloß man den Einschnitt mit Wundplasma und beklebte ihn mit einem Pflaster, um ihn für die wenigen Stunden, die er zur Heilung brauchte, zu schützen.
Ende der Stasis, Josua, sagte jemand.
Angus Thermopyle hob den Kopf und schaute umher.
Seine Beobachter zeigten eine unsinnige Gespanntheit. Zwei Techniker zuckten sogar zurück. Der Arzt, der direkt vor Angus stand, wurde etwas blasser. Sie hatten Angus völlig unter ihrer Herrschaft; darüber waren sie sich im klaren. Und doch hatten sie vor ihm Furcht. Sie konnten nicht vergessen, mit wem sie es zu tun hatten.
Er haßte sie allesamt. Wäre es ihm möglich gewesen, irgendeine Handlung zu verrichten, die ihre Furcht vertieft hätte, er hätte sie sofort getan. Vorsätzlich schöpfte er tief Atem, reckte die Arme, ließ die Fingerknöchel knacken, als hätte er endlich von neuem die Freiheit, Furchterregendes anzustellen; als könnte der Gedanke an Freiheit für ihn je wieder etwas anderes als Illusion sein.
»Das wurde aber auch Zeit«, brummelte er halblaut.
Die Zeit, informierte sein Computer ihn, war 9 Uhr 21 Minuten 22,01 Sekunden.
Ein Mediziner ging an den Interkom-Apparat. »Wir sind fertig«, meldete er. »Sagen Sie der Direktorin Bescheid.«
»Hier.« Ein Techniker warf eine Raumfahrt-Bordmontur und ein Paar Stiefel aufs Bett. »Ziehen Sie die Sachen an.« Die Bordmontur hatte eine kehrichtgraue Farbe und entbehrte aller Insignien, unterschied sich nicht von der Montur, die Angus gewohnheitsmäßig an Bord der Strahlenden Schönheit getragen hatte. »Sie haben noch rund fünf Minuten.«
Angus’ Besucher verließen ihn in dichter Traube, als fühlten sie sich ihm nur in offensichtlicher Überzahl überlegen.
Sämtliche Monitoren im Zimmer konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf Angus, als könnte er urplötzlich zum Berserker werden.
Hätte er elektromagnetische Felder nicht nur wahrnehmen, sondern auch erzeugen können, er hätte sich den Spaß gemacht, die Monitoren zu verschmoren; vorausgesetzt selbstverständlich, diese Option wäre ihm von seiner Programmierung zugestanden worden.
Davon jedoch konnte keine Rede sein.
Aber das war belanglos. Es war soweit, das zählte. Was seine Herren sich mit ihm vorgenommen hatten, bahnte sich nun konkret an.
Erstmals seit Angus’ Ankunft konnten seine Ärzte nicht feststellen, wie schnell sein Herz schlug, nicht messen, wie dringlich seine Lungen Luft begehrten.
Um den Monitoren sämtliche Anzeichen seiner Unruhe zu verheimlichen, stand Angus gemächlich von der Bettkante auf; schob mit einem geradeso insolenten Mangel an Eile seine Glieder in die Bordmontur, die Füße in die Stiefel. Danach legte er sich wieder aufs Bett, rückte den Kopf auf dem Kissen zurecht und faltete die Hände auf dem Bauch, als hätte er die Gabe, in alle Ewigkeit zu warten.
Zum Glück forderte niemand seine Geduld soweit heraus, daß sein Bluff aufgeflogen wäre. Kaum eine Minute später trat Min Donner ins Zimmer.
Sie ähnelte mehr denn je einem Falken. Ob sie ausschritt oder stillstand, ihre Hand bewegte sich immer in der Nähe ihrer Waffe, blieb stets bereit zum Ziehen. Ihr Körpergewicht war unweigerlich ausbalanciert; ihre Muskeln schienen in permanenter Kraftgeladenheit am Rande zur Lockerung zu schweben, als trennten sie nur noch Nanosekunden vor einer blitzartigen Aktion. Soviel Angus ersah – seine neuartige Sicht lieferte ihm Hinweise –, hatte man bei ihr keine technische Aufrüstung vorgenommen. Trotzdem vermittelte sie den Eindruck, ihm haushoch überlegen zu sein.
Sie flößte ihm das Gefühl ein, es sei ratsamer, zur Seite zu schauen, ehe sie an seinem Glotzen Anstoß nahm.
Normalerweise hätte Angus sich schon aus Prinzip diesem Druck widersetzt; aber die Tatsache, daß sie nicht allein kam, lenkte seine Beachtung ab.
Milos Taverner begleitete sie.
Der ehemalige Stellvertretende Sicherheitsdienstleiter der Kombi-Montan-Station folgte der DA-Direktorin ins Zimmer und erwiderte Angus’ Blick mit mürrischer Miene.
Er sah gar nicht gut aus. In Anbetracht seiner früheren Säuberlichkeit sah er so mies aus, als wäre er wochenlang auf Sauftour gewesen. Sein Blick stierte ebenso zerstreut wie stumpf in die Umgebung; seine unzulänglich rasierten oder enthaarten Wangen hatten die Färbung eines zu lang im Wasser gelegenen Leichnams. Die Flecken auf seiner Schädeldecke ähnelten jetzt den Malen einer rätselhaften Krankheit. Eine Nik steckte zwischen seinen Lippen,
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