Amnion 4: Chaos und Ordnung
sein Gehör zu dringen.
Er schloß die Lider, um seine Konzentration zu erhöhen. Umhüllt von Dunkelheit, versuchte er die Schwere der Verletzungen einzuschätzen. »Der Scheißkerl hat mir den Arm gebrochen«, knurrte er halblaut. »Und ’n paar Rippen.« Während des Sprechens spürte er noch einen Ursprungsort heftiger Beschwerden. »Und meine Birne fühlt sich an, als hätte er sie mir entzweigehauen.«
»Du hast nicht allein was abgekriegt«, antwortete Mikka widerborstig. »Leider kann ich dir im Moment nicht helfen. Wir sind auf die Brücke befohlen worden.«
Befohlen worden. Auf die Brücke. Davies versuchte die Mitteilung zu verstehen, merkte jedoch, daß es ihm nicht gelang. Zuviel lenkte ihn ab: Die Schmerzen und ein hitziger, nachgerade urtümlicher Drang, wenigstens einen mörderischen Schlag zu führen, störten seine Aufmerksamkeit. Und der Geruch…
Erbrochenes.
Der Gestank umwehte seine Nase in so unmittelbarer Nähe, daß er befürchtete, er selbst hätte sich übergeben.
Als er die Augen öffnete, verschwamm wiederholte Male alles in seiner Sicht, als wäre der Blutdruck des eigenen Herzens für seine Sehnerven eine Überforderung. Doch nach einem längeren Moment klärte sich sein Blickfeld.
Vor ihm hing Sib Mackern mit dem Gesicht nach unten auf dem Kombüsentisch. Für Nullschwerkraftverhältnisse wirkte seine Position unnatürlich: schon infolge normaler Muskelkonzentrationen hätte er in den Gurten aufwärtsschweben müssen. Offenkundig klebte sein Gesicht in einer Lache eigener Kotze. Zäher Schleim und Essensklumpen hatten sein Gesicht und die Tischplatte verschmiert; feine, perlenartige Bröckchen umkreisten ihn wie Sternbilder.
Er atmete, war jedoch besinnungslos.
Im Innern der Kombüse und im Hauptkorridor bemühten sich die Skrubber, in der Bordatmosphäre umhertreibende Schleier und Verklumpungen aus Erbrochenem abzusaugen, doch vorerst ohne rechten Erfolg. Bald mußte man die Filter austauschen, oder die Luft an Bord der Posaune würde stinkig.
»Was ist…?« Davies’ Stimme erstickte; die Beschwerden und der Gestank raubten ihm den Atem. »Was ist ihm zugestoßen?«
»Stunning«, teilte Mikka ihm kurz angebunden mit. »Nick hat Ciro die Stunnerrute entwunden. Wäre sie größer, die Ladung stärker, wäre er tot. Ciro auch. Kannst du zur Seite rücken? Wenn du mir nicht im Weg bist, ziehe ich ihn hinaus.«
Zur Seite rücken? hätte Davies zu gerne gemault. Klar. Wahrscheinlich schaffe ich es sogar bis zum Krankenrevier. Falls du mir hilfst. Und der liebe Gott seinen Segen gibt. Aber ihm mangelte es an Kraft zum Murren. Außerdem hatte Mikka es nicht verdient, unter seiner Verbitterung zu leiden…
Wo hatte sie gesteckt, als Nick und Angus über Morn herfielen?
Wo waren jetzt die anderen?
Was, zum Teufel, spielte sich eigentlich ab?
Gegen die Kopfschmerzen die Zähne zusammengebissen, rang Davies darum, auch seinen übrigen Verstand zu klaren Gedanken zu zwingen.
»Du sagst…« – er mußte sich erst darauf besinnen, was Mikka erwähnt hatte –, »daß wir auf die Brücke befohlen worden sind.« Er unterdrückte eine Aufwallung der Wut. »Von wem?«
»Von Nick.« Mikka empfand selbst ein Höchstmaß an Bitterkeit. »Er hat das Kommando an sich gerissen. Wie’s aussieht, hat Angus seine Geheimnisse uns die ganze Zeit verschwiegen. Zum Beispiel, wieso er sich plötzlich von Nick Befehle erteilen läßt. Oder wie er so was macht.« Am Rande des Blickfelds sah Davies, daß sie auf die zerschmolzene Pistole deutete, die über den Speiseautomaten schwebte. »Oder weshalb er«, fügte sie als letztes hinzu, »dermaßen stark ist.«
Angestachelt durch die zittrigen Anklänge der Verzweiflung in ihrer Stimme, verdrängte Davies den Schmerz und schaffte es zu guter Letzt, sie anzusehen.
Sobald er sie erblickte, zuckte er zusammen und hustete, als hätte eine gebrochene Rippe ihm in einen Lungenflügel gestochen.
O ja, auch sie hatte etwas einzustecken gehabt – schwer einiges einstecken müssen. Durch das zermalmte Fleisch über ihrem rechten Auge glänzten Knochen. Das Auge war beinahe zugeschwollen, aber die Platzwunde hatte noch nicht zu bluten aufgehört. Das Naß sickerte aus der schwärzlichroten Schwellung an ihrer Stirn und bedeckte die gesamte rechte Gesichtshälfte. Ihr Schädel mußte etliche Brüche erlitten haben. Sie gehörte dringender als er ins Krankenrevier. Bestimmt hatte sie eine Gehirnerschütterung: höchstwahrscheinlich glitt sie binnen kurzem
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