Amnion 4: Chaos und Ordnung
dem gleichen Grund sich selbst, aus dem sie geduldet hatte, daß Nick ihn den Amnion wiedergab: weil keine andere Wahl blieb. Und er wollte das Risiko vermeiden, daß seine insgeheime Hoffnung aufflog.
»Offenbar hast du jetzt hier das Sagen«, murrte er an Nick gewandt. »Wenn Angus deine Befehle ausführt, können wir nichts gegen dich ausrichten.«
Nick grinste oder grimassierte, als ob seine Gesichtsnarben glühten. »Da hast du verdammt recht.«
»Aber du hast auf der Brücke keinen Bedarf an mir«, äußerte Davies trotzig. »Ich muß zur Behandlung ins Krankenrevier. Es kostet dich nichts, mich gehen zu lassen.«
»Scheiße, da hast du Pech«, fuhr Nick ihn an. »Mir ist es gleich, wenn euch die Knochen schmerzen. Ich will, daß ihr leidet. Für das, was ihr mir angetan habt, ist es nur ’ne kleine Buße. Darum bleibst du hier« – er verfiel ins Schreien – »und büßt, bis ich von deinem Anblick genug habe!«
Angus schluckte, als hätte er große Not mit dem Atmen.
Doch fast sofort errang Nick die Selbstbeherrschung zurück. »Aber wer weiß, vielleicht findest du’s hier ja sogar interessant. Beim Arsch der Galaxis, wo stecken denn die anderen Figuren?«
»Wir sind da«, sagte Mikka vom Oberende des Aufgangs herab.
Ihre Stimme hatte einen erschreckend schwächlichen Klang, als stünde sie dicht vor dem Zusammenklappen. Weil sie noch immer blutete, sah ihre Stirnverletzung inzwischen noch furchtbarer aus. Dennoch brachte sie es zustande, an ihren Seiten Sib und Ciro zu stützen. Beide waren wieder bei Bewußtsein und infolge der Strapazen totenbleich; doch sie hatten ihren Körper noch nicht wieder in der Gewalt. Schwaches Zucken und Rucken schüttelte ihre Leiber, als würden ihre Nerven noch drangsaliert.
»Wir haben Befehle stets befolgt«, stellte sie mit einem Rest an Widerspruchsgeist klar. »Aber nach soviel Stunning ist es schwierig, sich fortzubewegen.«
»Wahrhaftig?« höhnte Nick. »Das wußte ich noch gar nicht. Beeilt euch gefälligst da runter und rein, sonst befehle ich Angus, sich an euren inneren Organen ein bißchen in der Laserchirurgie zu üben.«
Wie ein Kind, das zu weinen anfing, verbarg Ciro das Gesicht an Mikkas Schulter. Sib wirkte, als hätte er gerne das gleiche getan, aber er verbiß es sich; statt dessen warf er einen Arm übers Geländer und half Mikka dabei, sie alle drei durch die Steuerbrücke zu einem Haltegriff gegenüber des Technikkontrollpults zu befördern.
Langsam sanken sie aufs Deck herunter. Unvermindert von Zuckungen geplagt, löste Sib sich von Mikka und suchte sich einen anderen Haltegriff, damit sie die Kräfte ganz für ihren Bruder aufwenden konnte.
»Gut.« Nick streckte sich im Andrucksessel aus; im Kapitänssessel fühlte er sich in seinem Element und unangreifbar. »Nun können wir loslegen.«
Vorsätzlich kehrte Mikka ihm den Rücken zu, wandte sich an Vector, der seinen Platz am anderen Ende einer Aufreihung von Bildschirmen hatte. »Was ist mit deiner Hand passiert?« wollte sie erfahren.
»Er hat Morns Zonenimplantat-Kontrollgerät zerbrochen«, sagte Angus, ehe Vector antworten, bevor Nick es verbieten konnte. »Es zerschlagen und sich dabei die Hand aufgerissen. Er…«
»Angus, hält’s Maul!« wies Nick ihn grob an. »Du sabberst von nun an nicht mehr. Wenn ich wünsche, daß du redest, stelle ich dir ’ne Frage.«
Sofort schloß Angus den Mund so fest, als wären seine Kiefer mit Draht zusammengenäht worden. Er blickte hilflos. Seine Augen glichen offenen Wunden.
»Gut gemacht, Vector«, kommentierte Mikka leise. Sie verzichtete darauf, ihr Erleichtertsein zu verhehlen. »Du bist ein Genie. Daran hätte ich selbst denken sollen.«
Vector schenkte ihr ein verzerrtes, unglückseliges Lächeln, das einem durch kalte Asche gezogenen Strich ähnelte.
Nick grinste. »Nein, Mikka«, nölte er. »Wie üblich siehst du die Sache falsch. Du solltest das Mundwerk zumachen und zuhören. Ich erkläre euch geistlosem Meuterergesindel nun die aktuellen Fakten, und damit bekommt ihr eure einzige Gelegenheit, um euch übers laufende zu informieren.«
»Wie schön«, schnauzte Mikka zurück. »Dann mal los!« Es hätte ohne weiteres sein können, daß sie ihn zu provozieren, zu Gewalttätigkeiten zu reizen versuchte. Trotz des blutüberströmten Gesichts und ihrer Entkräftung hielt sie seinem Blick stand. »Ich bin gespannt, ob die ›aktuellen Fakten‹ so günstig für dich sind, wie du’s dir denkst.«
Im ersten Moment
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