Amnion 4: Chaos und Ordnung
guten Sohn haben. Wenn wir ihn ihr als Lockvogel präsentieren, springt sie darauf bestimmt an. Ihr wird klar sein, daß es ’ne Falle ist, aber deswegen kann sie sich nicht drücken. Die Amnion geben sich nicht mit Ausreden zufrieden, wenn sie ihnen nicht bringt, was sie verlangen.«
Er überlegte kurz. »Natürlich halten die Astro-Schnäpper sich währenddessen nicht raus«, fügte er dann hinzu. »Denen muß ich auch was bieten, um sie mir vom Hals zu halten. Morn wäre dazu geeignet« – erbittert mahlten seine Zähne –, »aber die kriegen sie nicht. Mit ihr habe ich andere Pläne. Und mir stehen gewisse Optionen offen. Zum Beispiel wissen Mikka und das elende Arschloch Sib genausoviel wie ich über die biologischen Beschleunigungsexperimente der Amnion. Sollte die Rächer uns Ärger verursachen, kann ich den Kosmo-Polypen allemal damit kommen.«
Angus schwieg. Indikatoren flimmerten auf seinen Sichtschirmen und Anzeigen, spiegelten die lautlose, zufallsabhängige Pavane der Vernichtung wider, die das Doppelsonnensystem unablässig zu tanzen schien. Selbstbeschränkung hieß die einzige ihm verbliebene Antwort.
»Wie lange noch?« ertönte Davies’ Stimme aus der Interkom.
»Halt dein Drecksmaul«, entgegnete Nick mit Behagen. »Wir sind beschäftigt.«
Davies ließ sich nicht einschüchtern. »Ich muß wissen, wieviel Kat ich Morn spritzen soll.«
Falls er vor Nick Furcht hatte, verheimlichte er es. Das war gut. Angus fürchtete sich genug für alle Beteiligten.
»Das ist mir scheißegal«, erklärte Nick. »Denk bloß nicht, du könntest sie retten, indem du sie wahnsinnig werden läßt. Falls sie’s wird, dürfte dir überhaupt nicht gefallen, was ich mit ihr anstelle. Oder was dann dir blüht.«
Er feixte Angus an und schaltete Nick den Interkom-Apparat aus.
Ähnlich hatte Angus’ Mutter gelächelt, wenn sie sich übers Kinderbett beugte.
Etwas später deutete Nick fluchend auf eine Anzeige. »Ein Peilsignal, du miese Ratte? Das hast du verschwiegen. Kein Wunder, daß die Rächer uns aufgespürt hat.«
Für einige Augenblicke kaute er auf der Lippe, grübelte angestrengt; dann lockerte sich seine Haltung. »Angesichts der Umstände sollte ich mich wohl nicht beklagen. Aber ich kann mir einfach nicht denken, was, zum Teufel, du dir eigentlich dabei gedacht hast. Sag mir, weshalb… Nein, ich sehe warum. Sag mir, warum du es nicht erwähnt hast.«
Angus gab Antwort, als wäre er ein Leichnam.
»Sie haben nicht gefragt. Ich treffe keine Entscheidungen. Ich befolge nur Befehle. Wonach Sie nicht fragen, kann ich Ihnen nicht sagen.«
Daraus bestand sein alleiniger Schutz, sein einziges Geheimnis. Es hatte ihn schon einmal, nämlich während der Verhöre durch die VMKP-Abteilung Datenakquisition, wirksam gedeckt. Jetzt schützte es ihn erneut; es erlaubte ihm, den letzten, wenn auch nutzlosen Rest seiner selbst unversehrt zu erhalten.
Nichts schrieb ihm vor, Nick mitzuteilen, daß er Morns zerbrochenes Zonenimplantat-Kontrollgerät jederzeit ersetzen konnte.
»Na, wir wollen’s den Astro-Polypen nicht zu leicht machen«, nölte Nick. »Bis jetzt haben sie mir geholfen, so gut sie konnten. Ich glaube, ich möchte gar nicht wissen, was sie von mir wollen, wenn sie sich sicher sein sollten, daß sie dich wieder unter Kontrolle haben.«
Seine Finger tippten Tasten der Kommandokonsole. Auf einem Display sah Angus, daß Nick den Peilsender deaktiviert hatte. Ein nutzloser Rest, ja: ausgehöhlt und bedeutungslos. Und doch hielt Angus daran fest.
Und an etwas anderes klammerte er sich: eine nutz- und bedeutungslose, sinnentleerte Handlung. Während er Nick zu Diensten war – und Warden Dios –, ließ er auf einem Monitor ständig den Funkspruch der Rächer projiziert. Mochte Nick es ruhig merken und Argwohn hegen; sollte er denken, Angus müßte an seine Gehorsamspflicht erinnert werden. Angus blieb es einerlei. Er konnte nicht anders. Immer wenn seine Programmierung und Nicks Anweisungen ihm eine Gelegenheit einräumten, las er den Text mit der stieren Begriffstutzigkeit eines Debilen.
Warden Dios an Isaak: Prioritätscode Gabriel
Zeigen Sie diese Nachricht Nick Succorso,
Die Worte standen eingefügt in einen Code, den er nicht kannte und nicht zu entziffern verstand, anscheinend eine Art von Maschinensprache, in der man Isaaks Interncomputer neue Direktiven erteilt hatte. Dennoch besah Angus sich den Text, wann er nur konnte; er starrte und glotzte ihn an, bis ihm die Sicht verschwamm und
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