Amnion 4: Chaos und Ordnung
ihre Schultern, als könnte der Druck ihre innerliche Eiseskälte lindern.
»Gib Angus die nötigen Befehle«, forderte er starrköpfig. »Oder ich tu’s, wenn’s dir zuviel ausmacht. Wir müssen handeln.«
Angus enthielt sich jeden Einwands. Allem Anschein nach war er mit seinen Möglichkeiten der Bittstellung am Ende. Schweiß bildete Perlen auf seiner Haut, hervorgepreßt durch den innerlichen Stau seiner Notlage; doch er stand reglos da, sagte nichts, fragte nichts.
Er wollte von Morn befreit werden.
Dir Leben lang war Morn eine Frau gewesen, die wußte, wie man Groll nährte. Ihren Eltern hatte sie nie verziehen, sie für den Dienst bei der VMKP verlassen zu haben. Weil sie damals ein Kind gewesen war, harte sie auch sich selbst nie vergeben. Nachdem ihre Mutter dabei ums Leben gekommen war, im Gefecht gegen die Liquidator die Intransigenz zu retten, hatte Morn beschlossen, selbst Weltraumpolizistin zu werden, und gehofft, dadurch ihren alten, unbesänftigten Kummer nach außen wenden zu können, ihre Schuldgefühle zu mindern. Dies Anliegen jedoch scheiterte, als ihr Hyperspatium-Syndrom zur Havarie der Stellar Regent führte. Auf einer gänzlich unterschwelligen Ebene jenseits von Verstand oder Logik – war ihre Schuld bekräftigt worden. Die Stellar Regent war havariert, weil sie ihren Eltern nie verziehen hatte. Darin lag der Ursprung ihres Hyperspatium-Syndroms; das war der Makel in ihrem Kopf. In den Ketten ihres Grolls gefangen, hatte sie den Tod ihrer Eltern heraufbeschworen.
Und dann war sie in Angus’ Hände gefallen: der Inkarnation und Apotheosis ihrer verdienten Strafe. Mit allem Nachdruck hatte sie ihren Groll gegen sich selbst gekehrt. Nach allem, was sie verbrochen hatte – und ihr angetan worden war –, sah sie keinen möglichen Ausweg aus ihrem Schicksal, als von Angus das Zonenimplantat-Kontrollgerät anzunehmen und sich Nick anzuschließen; indem sie sich auf das durch und durch unaufrichtige Vorgehen verlegt hatte, Nick in seinen Illusionen zu bestätigen. Sie hatte eine denkbare Rettung verworfen, um ihre Bestrafung zu verlängern.
Aber Davies hatte sie verändert. Ein Kind zu haben hatte sie dazu gezwungen, über ihren Groll und ihre Selbstzüchtigung hinauszuwachsen und über andere Fragen nachzudenken; die Dinge aus höherer Warte zu bewerten. Von Vector hatte sie erfahren, daß die Weltraumpolizei korrupt war; anfangs hatte diese Information ihr Entsetzen eingeflößt. Doch was unterschied die Geheimhaltung des Intertech-Antimutagens seitens der VMKP von dem Gebrauch, den sie von dem schwarzen Kästchen gegen Nick gemacht hatte. Oder gegen sich selbst. Wenn sie wünschte, daß ihr und das Leben ihres Sohns sich besser als Nicks oder Angus’ Existenz gestalteten, mußte sie endlich dazu übergehen, andere Entscheidungen zu treffen.
Was mich betrifft, hatte sie einmal zu Davies gesagt, bist du das Zweitwichtigste in der Galaxis. Du bist mein Sohn. Aber am allerwichtigsten ist es, an erster Stelle steht es, keinen Verrat an meiner Menschlichkeit zu begehen. Und später, als er beabsichtigte, Nick aus der Posaune auszusperren, hatte sie klargestellt: Du bist Polizist. Und ich will künftig auch Polizistin sein. Wir verhalten uns nicht so.
Schöne, rührselige Gefühle. Aber sie blieben ohne Sinn, wenn man die zugrundeliegenden Prinzipien mißachtete.
Wenn sich danach zu richten jedoch hieß, Angus die Freiheit zurückzugeben…
Es schauderte ihr vor Abscheu, während sie ihn mit dieser Frage konfrontierte. »Warum sollten wir dir helfen?« rief sie ihm an Davies’ Schulter vorbei zu. »Davies hat recht. Bestimmt ist es möglich, Nick irgendwie unschädlich zu machen, ohne dich zur Handlungsunfähigkeit zu verurteilen. Du wirst für uns arbeiten, weil du’s mußt, unsere statt Nicks Befehle ausführen, und wir brauchen uns nicht mehr ständig vor dir zu fürchten.« Wir benutzen ihn als Instrument, so wie Warden Dios und Nick es getan haben. Vielleicht weniger brutal. Oder raffinierter. Trotzdem als Werkzeug. Wir verdinglichen ihn. »Weshalb dürfte ich auch nur im geringsten annehmen, einer von uns wäre, wenn du von dem Interncomputer frei bist, in deiner Gegenwart sicher?«
»Morn!« mahnte Davies, klammerte die Finger fester an ihre Schultern, schüttelte sie.
Morn ignorierte ihren Sohn. Die Situation bedingte, daß sie ihre Aufmerksamkeit ebenso konzentriert wie Angus ballte. Momentan zählte nichts außer seiner Antwort.
»Weil ich euch hätte aufhalten können«,
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