Amnion 4: Chaos und Ordnung
wiederzuerhalten.
»Du Schweinehund«, keuchte Davies durch die Zähne. »Du mieses Stück Scheiße. Wie kannst du eigentlich weiterleben? Wie ist es dir möglich, dich selbst zu ertragen?«
Angus antwortete nicht; Morn jedoch kannte die Antwort. Ihr Einblick in Angus war geradeso intim wie Vergewaltigung. Er ertrug es nicht. Sein Lebtag lang floh er vor sich selbst, stürzte sich von einer in die nächste Gewalttat, zappelte sich wie besessen ab, um der Finsternis seines eigenen Innenlebens zu entkommen.
»Wie?« wiederholte Morn. Auch ihre Stimme zitterte, als litte sie an Unterkühlung. »Wie machst du das?«
Ihre Frage galt etwas ganz anderem, als ihren Sohn interessierte.
Angus verstand sie. »KMOS-SAD-Chips ändern nie ihren Zustand«, erläuterte er, als hielte er ein Referat. »Sie ergänzen ihn gewissermaßen nur. Es ist physikalisch undurchführbar, sie nachträglich abzuwandeln. Jeder weiß, es gibt nur eine Möglichkeit, um auf ihren Speicherinhalt einzuwirken, nämlich einen Filter draufzuschreiben, der beim Abrufen der Informationen einige Daten überdeckt. Die Daten bleiben vorhanden. Bloß lassen sie sich nicht mehr erkennen. Aber das ist ein zweckloses Vorgehen. Man sieht nämlich den Filter. Er wird zusammen mit den anderen gespeicherten Daten wiedergegeben. Auch das ist allgemein bekannt.«
Morn bebte vor sich hin, als würde sie von Angus verhöhnt.
»Der Trick besteht darin«, sagte er unvermindert betonungslos, »einen transparenten Filter zu schreiben. Er ist sichtbar, trotzdem bemerkt ihn niemand, weil alles ganz normal aussieht. Aber auch das ist im Grunde genommen ausgeschlossen. Der Chip nimmt ja ausschließlich Ergänzungen vor. Sein Inhalt ist durchweg linear, in chronologischer Reihenfolge gespeichert. Auch ein transparenter Filter ist ersichtlich, weil er später als die Daten, die er überdeckt, hineingeschrieben wird. Andernfalls könnte der Filter nicht funktionieren…«
Er erweckte den Eindruck, seine Darlegungen wider Willen zu unterbrechen, als stünde er an der Abzweigung einer Logik-Baumstrukrur: gefangen zwischen der VMKP-Programmierung und der eigenen Verzweiflung. Je kälter sich Morn fühlte, um so stärker rann ihm Schweiß übers Gesicht. Er verdrehte die Augen, zeigte mehr vom Glitzern des Gelbs.
»Weiter«, verlangte Davies halblaut. Seine Stimme klang, als wäre er außer Atem, fast nach Ausgelaugtheit; als wäre er bis zum äußersten angespannt. »Hör bloß nicht auf, wenn’s am interessantesten ist.«
»Außer man weiß«, antwortete Angus etwas überstürzt, »wie man einen Filter schreibt, der genau wie das Gittermuster des Chips aussieht.« Seine Stimme kratzte in der Kehle wie eine rostige Klinge. »Dann ist er nicht nur transparent, sondern tatsächlich unsichtbar. Er bleibt beim Abtasten unerkannt, weil er sich von der materiellen Beschaffenheit des Chips nicht unterscheidet, und den Chip sieht man nie, man bekommt nur die Daten zu sehen.«
Morn schlang die Arme um den Oberkörper, um ihr Schlottern zu unterbinden, aber sie fror zu stark. Langanhaltendes Beben durchzitterte ihre ganze Gestalt. Ihr klapperten die Zähne, bis sie sie zusammenbiß.
»In größerem Umfang bin ich dazu nicht imstande«, gab Angus zu. »Nur die Amnion können’s, ihre Apparate und Codierungen sind so gut. Sie haben mir lediglich beigebracht, wie sich die Information für mich nutzen läßt.«
Seine Augen trieften wie nässende Wunden.
»Aber wenn die Data-Nuklei der Strahlenden Schönheit und meines Interncomputers«, fügte er hinzu, »auf die gleiche Weise hergestellt worden sind, kann ich einen Filter schreiben, der meine Prioritätscodes überdeckt. Sie blockiert. Dann kann kein Außenstehender mir mehr Befehle geben.«
Wahrscheinlich waren sie gleich fabriziert worden, überlegte Morn mit kurioser innerer Distanziertheit. Der einzige rechtmäßige Produzent von KMOS-SAD-Chips, den die Menschheit hatte, war die VMKP. Morn fiel kein Grund ein, weshalb die Fabrikationsmethoden verändert worden sein sollten.
»Scheiße…« Davies musterte Angus voller mit Schrecken vermischter Faszination: Trotz seiner spontanen Ablehnung erregte Angus’ Vorschlag bei ihm weitergehendes Interesse. »Kannst du keine gründlichere Arbeit leisten? Die Originalprogrammierung filtern? Gegen ’n eigenes Programm austauschen?«
Angus schüttelte den Kopf. »Nein.« Er beantwortete die Frage, als wäre sie aus Morns Mund gekommen. »Ich weiß nicht, in welchem Code sie geschrieben
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