Amnion 4: Chaos und Ordnung
weitersuchen. Falls er weiß, wo Ciro abgeblieben ist, gebe ich dem Werkschutz Bescheid.«
Mit einer Andeutung von Dankbarkeit nahm der Werkschützer ihren Vorschlag an. Je mehr Leute nach Ciro suchten, um so früher fand man ihn. Und je eher man ihn aufspürte, um so geringer war die Aussicht, daß sich Klimpt ernsten Tadel einhandelte. Er deutete in die Richtung, aus der Mikka gekommen war, rasselte rasch eine Wegbeschreibung herunter und setzte anschließend seine Durchquerung des Hauptkorridors fort.
Wo bist du, Ciro? Was hat Nick dir angetan?
Auf dem gewiesenen Weg mußte sie zum Materiallager gelangen. Angestrengt darauf konzentriert, sich Klimpts Angaben zu vergegenwärtigen, um sich nicht zu verirren und um der Panik widerstehen zu können –, beeilte sie sich so sehr, wie es möglich war, ohne Wissenschaftler oder Techniker anzurempeln oder irgendeinen anderen Aufruhr zu verursachen.
Was hatte Nick mit ihrem Bruder verbrochen?
Sie konzentrierte sich energisch: sogar zu stark. Im ersten Moment fiel ihr nicht auf, daß einer der Räume, an denen sie vorübereilte, dem Fluggäste-Wartesaal einer Weltraumstation ähnelte. Zwanzig oder dreißig Sessel standen darin verteilt; in Abständen säumten Datenterminals die Wände; unter der Decke war zu Informationszwecken eine Anzahl Bildschirme montiert.
Mikka blieb stehen. Welchen Bedarf hatte ein Schwarzlabor an einer derartigen Lounge?
Sie konnte sich keinen denken.
Gegenwärtig hielt niemand sich dort auf, also trat sie ein und warf einen Blick auf die Monitoren.
Sobald sie sah, was sie zeigten, begriff sie den Sinn dieses Raums: das war kein Wartesaal, sondern eine Art von Infozentrum. Von zwei Mattscheiben konnte man allem Anschein nach den aktuellen Stand verschiedener Experimente ablesen. Auf einem Bildschirm beugten sich mehrere Forscher über eine Mikka fremde Apparatur. Ein weiterer Monitor übertrug ein Referat: Der Mann auf dem Podium leierte etwas daher, als wüßte er, daß niemand zuhörte. In diesem Saal konnten Zuschauer Experimente mitverfolgen, sich über die Forschungsergebnisse von Kollegen in Kenntnis setzen oder sich Darlegungen abstruser Themen anhören.
Wo war Ciro? Was hatte Nick angestellt?
Mikka wandte sich zum Gehen, da gewahrte sie noch einen Monitor. Auf ihm ließ sich die Belegung der Dock-Liegeplätze ersehen: welche Raumschiffe in welchen Astro-Parkbuchten verankert ruhten.
Drei der Raumer kannte sie nicht. Möglicherweise gehörten sie dem Schwarzlabor. Eines der Schiffe war die Posaune; Ziffern und Indikatoren blinkten, verwiesen auf Aktivstatus der Bordsysteme.
Ein Raumschiff hieß Sturmvogel.
Gott verdammt noch mal!
Du sollst verdammt sein, Nick, du elender, dreckiger Schweinehund!
Darauf also kam es Nick an. Anhand schwerer Erfahrungen und durch reine Intuition stieß sie auf die Antwort auf alle Fragen. Die Sturmvogel lag im Dock: etwas anderes zählte nicht für Nick. Irgendwie mußte Nick in seinem abartigen Drang nach Rache an Sorus Chatelaine soeben Ciro als Bauernopfer dargebracht haben.
Mit so weiten Sätzen, wie die G des Asteroiden sie zuließ, sprang Mikka aus dem Info-Zentrum und nahm in rücksichtslosem Lauf die von Klimpt gewiesene Route.
Glücklicherweise leerten sich die Korridore allmählich. Das eingeschlagene Tempo war gefährlich, und zwar um so mehr, als sie momentan nur mit einem Auge einigermaßen gut sehen konnte, ein beeinträchtigtes räumliches Sehvermögen hatte. Unterlief ihr ein Fehler, mochte sie sich einen Arm oder ein Bein brechen, sich die Rippen anknacksen. Das Adrenalin, das durch ihre Adern pochte, bereitete ihr Kopfschmerzen, als hätte ihr Schädel neue Prügel abgekriegt. Dennoch verminderte sie ihre Eile nicht. Nick hatte Ciro in eine Falle gelockt; sie, Ciro und Sib waren vorsätzlich von ihm getrennt worden, um Ciro schutzlos zu machen.
Damit er keinen Schutz gegen die Besatzung der Sturmvogel hatte. Nick hatte gewußt, daß sich das Raumschiff hier befand, soviel war Mikka jetzt klar; selbst wenn er es nicht durch die Instrumente der Posaune erfahren hatte, mußte es ihm aus den von Beckmanns Kommunikationszentrale übermittelten Flugverkehrsdaten ersichtlich geworden sein. Aufgrund irgendwelcher schmutziger Erwägungen hatte er beschlossen, Ciro als Köder für Sorus Chatelaine zu mißbrauchen. Was er dadurch zu gewinnen hoffte, konnte Mikka im Moment nicht nachvollziehen. Genausowenig verstand sie, woher Chatelaine gewußt haben konnte, daß Nick das Schwarzlabor
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