Amnion 4: Chaos und Ordnung
Quatsch. Wieso müssen wir uns verstecken? Weshalb haben wir nicht sofort, nachdem wir Thanatos Minors Schutt hinter uns gelassen hatten, den Human-Kosmos angesteuert? Vor wem sollten wir uns denn verstecken müssen?«
»Wir befinden uns drei Lichtjahre weit im amnionischen Bannkosmos«, sagte Morn. Während des Sprechens nahm ihre Stimme einen festeren Klang an. »Momentan sind wir in Sicherheit, ja, aber wir haben den Amnion Zeit gegeben. Zeit zum Reagieren. Um nach uns zu suchen. Um unser Abfangen zu organisieren… Oder eine Jagd. Warum hast du uns hierhergebracht, Angus?«
Als er keine Antwort gab, mahlten Morns Kiefer. Dann sprach sie unumwunden ihre eigentliche Frage aus. »Für wen arbeitest du?«
Die Muskeln rund um Angus’ Augen verkrampften und lockerten sich unablässig, als hätte er Konvulsionen der Pein; ihm verkniffen sich die Mundwinkel. Plötzlich hatte Davies das Gefühl, die Wahrheit zu kennen. Diesen Gesichtsausdruck hatte er – oder vielmehr hatte Morn es schon einmal bei Angus gesehen.
Nachdem die Strahlende Schönheit durch Nick beschädigt worden war, hatte Morn, als sie die Besinnung zurückerlangte, Angus wie eine zermatschte Kröte in seinem G-Andrucksessel hängen gesehen. Sie checkte die Anzeigen und stellte fest, was sich ereignet hatte. »Er hat sie besiegt«, hatte sie daraufhin zu ihm gesagt. »Sie sind geschlagen worden.«
Und er hatte ihr ein aus Verzweiflung aschgraues Gesicht zugewandt. »Jetzt bist du stolz auf ihn, was?« hatte er erwidert, als versuchte er besonders bösartig zu wirken. » Weil er mich geschlagen hat.«
»Angus…« Noch nie hatte sie seinen Namen benutzt. »Ich kann Sie retten. Ich werde zu Ihren Gunsten aussagen. Wenn Sie wieder auf der KombiMontan-Station sind… Ich bin bereit, Sie in Schutz zu nehmen…Ich habe ja noch meine Id-Plakette… Sie brauchen mir bloß das Kontrollgerät auszuhändigen. Das Kontrollgerät des Z-Implantats.«
Sie hatte sich in tiefer Not befunden. Und Angus hatte sie gründlicher verdorben, als er selbst es für möglich gehalten hätte.
Zu ihrer Fassungslosigkeit hatte sie in seinen Augen Tränen erblickt.
»Ich würde mein Schiff verlieren…«
»Es ist nicht mehr zu retten«, schrie sie ihn an. »Den Stationssicherheitsdienst kann ich abwimmeln. Auch die VMKP. Aber für Ihr Schiff kann man nichts mehr tun.«
»Ich müßte mein Schiff aufgeben«, sagte er leise. »So sieht dieser Handel doch aus, oder nicht? Du rettest mich, wenn ich dir das Kontrollgerät abliefere. Aber mein Schiff ginge mir verloren.«
Morn nickte. »Was hätten Sie zum Feilschen denn sonst zu bieten?« fragte sie nach kurzem Schweigen.
Und da, in genau diesem Moment, hatte er geradeso wie jetzt ausgesehen: in die Enge gedrängt, ratlos, weit verbitterter, als er es zu verkraften vermochte. Auf eine Weise, die Davies nicht nachvollziehen konnte. Wieder einmal saß Angus in der Falle; in der Klemme zwischen Nöten, denen zu entfliehen er keine Gelegenheit hatte, und Anforderungen, die er nicht zu erfüllen verstand. Als er zuletzt doch antwortete, klang seine Stimme gleichermaßen sachlich wie nach Falschheit.
»Hashi Lebwohl.«
Verdutzt sackte Ciro der Unterkiefer herunter; seiner Schwester erging es ähnlich. Enttäuschung trübte Vectors blaue Augen, sein gewohntes Lächeln wich ihm aus dem Gesicht.
Nick lachte, als ob man Statik knattern hörte. »Wußte ich’s doch! Es konnte ja nur die Scheißpolente sein.« Voller Verachtung schüttelte er den Kopf. »Wenn sie sogar einen widerlichen Lumpenhund wie dich dazu bringen kann, ihre Drecksarbeit zu erledigen, sind wir allesamt aufgeschmissen.«
Morn erwiderte fortgesetzt Angus’ Blick, blieb jedoch vollkommen ruhig, als wagte sie es nicht, sich irgendeine Reaktion anmerken zu lassen. Davies allerdings glaubte zu wissen, an was sie dachte. Er hatte Vectors Worte im Gedächtnis. »Die VMKP ist die korrupteste Organisation, die es überhaupt gibt«, hatte er ihr erklärt. »Im Vergleich mit ihr präsentiert sich Piraterie als die reinste Menschenfreundlichkeit.« In der Erinnerung fühlte er Morns Schrecken. »Wir hatten das Rohmaterial für einen Schutz, alle Stufen zum Ziel hatten wir vor uns. Und sie haben es uns weggenommen, es unterdrückt… Der Bannkosmos liefert denen bloß ’n Vorwand, um ihnen die Macht zu sichern…«
Aufgrund irgendeiner Ursache verspürte Davies nicht die gleiche Bestürzung. Die ihm durch seinen Vater im Gemüt verursachte Wirrnis erzeugte ein anderes
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