Amok: Thriller (German Edition)
Spiegel zu schauen, praktisch mit dem Beginn der Chemotherapie.
Der sinnlosen, nutzlosen Chemotherapie.
Die Arzthelferin war eine jener Respekt einflößenden Personen, die anscheinend mit Vorliebe auf solche Posten gesetzt wurden, doch in diesem Fall sagte sie kein Wort, sondern tat einfach nur, worum sie gebeten worden war. Dann sahen sie alle drei schweigend zu, wie das Fernsehbild aufflackerte und eine Schlagzeile in fetten roten Lettern erschien: AMOKLAUF IN SUSSEX.
Die Kamera filmte live aus einem Hubschrauber, der über dem südlichen Ortsrand von Chilton kreiste. Man konnte sehen, dass die Zufahrtsstraße des Dorfs mit Rettungsfahrzeugen verstopft war. In den angrenzenden Feldern liefen dunkel gekleidete Gestalten umher. Auf dem Dorfplatz war ein merkwürdiges weißes Quadrat zu erkennen und ein zweites auf der Straße neben der Kirche. George begriff, dass es sich um Zelte der Spurensicherung handeln musste. Sein Telefon klingelte erneut.
»Schaust du gerade hin?«
»Was ist da los?«
»Wir haben hier einen jungen Kerl, der tot auf dem Dorfplatz liegt. In den Kopf geschossen mit einer Walther P22 mit Schalldämpfer. Außerdem liegt noch eine Purdey-Schrotflinte neben der Leiche.«
»Ich verstehe nicht. Wer ist der Mann?«
»Sieht aus, als hätte er sich selbst die Kugel gegeben. Ich muss wissen, ob das deine Schrotflinte ist.«
»Möglich wäre es«, sagte George. »Soll das heißen … das Gutshaus?«
»Wir waren noch nicht dort. Wir haben hier im Dorf schon alle Hände voll zu tun. Der Empfang ist hier draußen ziemlich beschissen, aber wir hoffen, dass wir das Festnetz bald repariert kriegen.«
Das Geräusch einer Tür, die hinter ihm geöffnet wurde, lenkte George ab, sodass er nicht ganz mitbekam, was Sullivan sagte. Er drehte den Kopf und sah Vanessa eintreten. Sie ging wie auf Zehenspitzen, jeder Muskel angespannt, aber beherrscht. Sie streifte ihn mit einem Blick, und ihre Augen waren klar und kalt. Desillusioniert. Er wandte sich ab. Was redete Sullivan da von Reparaturen am Festnetz?
»Es gibt noch mehr Todesopfer.«
»Wie viele?«
»Wissen wir noch nicht genau, aber jedenfalls eine Menge.«
Das Luftbild auf dem Fernsehschirm flackerte und verschwand. Die Regie schaltete zurück ins Studio zu einem offenbar unvorbereiteten und etwas verlegen dreinschauenden Moderator. Er entschuldigte sich für die Bildstörung und fasste dann noch einmal kurz die Lage zusammen. Nach allem, was man wusste, hatte ein Amokläufer in dem kleinen Ort Chilton in Sussex ein Blutbad angerichtet.
George hörte, wie Vanessa nach Luft schnappte. Sie trat ein paar Schritte vor und hielt sich am Empfangstresen fest. George wandte sich von ihr ab. Ein Summer ertönte, und gleich darauf bat die Arzthelferin den anderen Patienten ins Sprechzimmer. Sullivan war wieder unterbrochen worden, doch er meldete sich im gleichen Augenblick wieder, als George noch etwas anderes einfiel.
»Was ist mit der Farm?«
»Was?«
»Hurst Farm. Die liegt an der gleichen Straße wie das Haus. Die Caplans wohnen dort, Laura und Keith, mit ihrer Tochter.«
Wieder ein Fluch von Sullivan, als ob ein unmöglicher Job gerade noch ein wenig schwieriger geworden wäre.
»Wir werden mal vorbeischauen.«
Eine Hand berührte ihn an der Schulter, und er hörte Vanessa sagen: »Können wir gehen?«
Er drehte sich halb zu ihr um, verärgert über die Ablenkung. Dann fiel ihm wieder ein, weshalb sie hier waren. »Was hat er gesagt?«
Vanessa rümpfte die Nase. Ihre Verachtung überraschte ihn nicht; er hatte sie absolut verdient. »Das kann warten.«
»Es tut mir leid.« Er deutete auf den Fernseher. »Du siehst ja, wieso …«
Es gab einen kurzen Bericht von einem Reporter vor dem Präsidium der Sussex Police, und dann war wieder die Luftaufnahme zu sehen, diesmal ein Stück außerhalb des Orts. Man sah einen Hubschrauber starten, während ein anderer bereits darauf wartete, dass der Landeplatz frei wurde.
Er hörte einen Seufzer und registrierte, wie Vanessa um ihn herumging. Sie war offenbar fest entschlossen zu gehen, ganz gleich, was er tat. Widerstrebend folgte er ihr hinaus in den Vorraum.
»Terry Sullivan hat mich angerufen«, erklärte er ihr. »Er hatte befürchtet, wir könnten dort sein.«
»Wissen sie, was passiert ist?«
»Nicht genau. Im Moment scheint da unten die Hölle los zu sein. Ich hoffe bloß, dass den Caplans nichts passiert ist.«
Vanessa drückte den Knopf, um den Aufzug zu holen, und stellte sich
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