Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
Mitarbeiter in Krakau, 1942
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Die Führung durch das Schindler-Museum ist zu Ende. Ich unterhalte mich noch mit der netten älteren Dame aus meiner Reisegruppe, die mir ihren Schirm angeboten hatte. Sie ist eine Jüdin aus Amerika, Anfang siebzig, sportlich, mit kurzen grauen Haaren und wachen Augen. Ich frage sie, ob sie allein in Krakau unterwegs sei. Nein, erzählt sie, eigentlich sei sie mit ihrem Mann gekommen. Beide seien sie Auschwitz-Überlebende. Seit sie in Polen seien, habe ihren Mann plötzlich eine große Angst erfasst, er schaffe es nicht, an die Orte seines Martyriums zurückzukehren. Verstört sitze er im Hotelzimmer und wage sich nicht vor die Tür. Deshalb musste die ältere Dame die schon gebuchten Touren – gestern nach Auschwitz und heute durchs ehemals jüdische Krakau – allein antreten. Sie sagt, es bedrücke sie sehr, dass es ihrem Mann so schlechtgehe.
Die Geschichte dieses traumatisierten Mannes, der sich nicht aus dem Hotel traut, geht mir nahe. Ich würde die Frau gern aufmuntern. Ich erzähle ihr, dass ich in Israel gelebt habe. Sie wirkt erfreut, fragt mich, wie ich das Leben dort fand. Wir unterhalten uns noch eine Zeitlang. Sie möchte auch wissen, was ich hier mache, warum ich in Polen bin. Wieder gebe ich vor, eine historisch interessierte Touristin zu sein. Ich biete an, sie im Taxi Richtung Kazimierz mitzunehmen, aber sie will lieber noch ein paar Schritte laufen.
Schon zum zweiten Mal an diesem Tag habe ich meine wahre Identität verborgen. Der polnischen Stadtführerin Malgorzata habe ich meine ganze Geschichte schließlich erzählt, aber dieser Frau konnte ich sie nicht berichten. Ich wollte ihr nicht sagen, warum ich hier bin. Es wäre nicht genug Zeit gewesen, ihr alles zu erklären. Ich hätte sie zurückgelassen mit einer Information, die sie nur belastet hätte. Sie wäre heimgekehrt zu ihrem Mann ins Hotel, irritiert, vielleicht sogar verstört. Trotzdem fühlt sich mein Schweigen nicht gut an.
Die freundliche ältere Jüdin werde ich wahrscheinlich nie wieder treffen. Aber meinen Freunden in Israel muss ich mich irgendwann offenbaren.
Ich fahre zum Rynek, dem prachtvollen mittelalterlichen Marktplatz im Zentrum des alten Krakau. Hier ist nichts düster und verwinkelt wie in Kazimierz, alles wirkt herrschaftlich und offen. Ich laufe an den Verkaufsständen entlang und suche nach einem Blumenstrauß. Er soll farbenfroh und hell aussehen, aber auf keinen Fall zu bunt, Grundfarbe weiß, mit kleinen und großen Blüten. Ich stelle mir selbst einen Strauß zusammen.
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Der Rynek im Zentrum Krakaus wurde während der deutschen Besatzung in «Adolf-Hitler-Platz» umbenannt. Die Deutschen waren in Polen bereits auf dem Rückzug, als der Kommandant von Płaszów verhaftet wurde: Die SS hatte entdeckt, dass Amon Göth Wertgegenstände aus Płaszów wegschaffte, und eröffnete ein Verfahren gegen den eigenen Mann.
Göth wurden Korruption und Amtsmissbrauch vorgeworfen. Er saß unter anderem im Gefängnis München-Stadelheim ein, wurde aber bald freigelassen.
Nach einem kurzen Fronteinsatz wurde Göth in ein Krankenhaus in Bad Tölz eingewiesen. Seine Gesundheit war angegriffen, er litt an Diabetes und hatte Probleme mit Leber und Niere.
Am 30 . April 1945 rückte die amerikanische Armee in München ein. Am 4 . Mai wurde Amon Göth, der nur eine Wehrmachtsuniform trug und nicht als SS -Mann zu erkennen war, in Bad Tölz festgenommen. Er gab einen falschen Namen an und behauptete, er sei nur ein einfacher Kriegsheimkehrer. Währenddessen lief in Wien seine Scheidung von Anna Göth, die von dem Verhältnis zu Ruth Irene Kalder erfahren hatte.
Die schwangere Ruth Irene Kalder war gemeinsam mit ihrer Mutter Agnes bei Kriegsende erst nach Wien und dann nach Bad Tölz geflüchtet. Am 7 . November 1945 wurde in Bad Tölz Monika geboren, die gemeinsame Tochter von Göth und Kalder.
Amon Göth war inzwischen in ein Internierungslager auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau bei München gebracht worden. Im Januar 1946 schrieb er von dort einen letzten Brief an Ruth Irene Kalder: «Liebste Ruth, Brief und Paket dankend erhalten. Du Arme hast so viel durchmachen müssen … Essen ist hier so, daß ich noch knapp 70 Kilo wiege. Das genügt … Es wird schon wieder alles in Ordnung kommen. Mach Dir keine Sorgen. … Viele Bussi an Dich und Monika und grüße herzlichst die Omi. Euer Mony.»
Kurz danach fanden die amerikanischen Ermittler heraus, wer Göth wirklich war.
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