Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
wichtigste Mann in ihrem Leben, sagte meine Großmutter später. Warum war sie mit ihm zusammen?
Der große Reisebus, in dem ich sitze, ist voller Menschen, aber sie sprechen kaum. Draußen sehe ich niedrige Häuser am Straßenrand und immer wieder kleinere Dörfer. Der Asphalt ist nass, es hat noch einmal geregnet. Ich würde mir wünschen, dass der Himmel endlich aufreißt. Der Ort, an den ich gerade fahre, ist düster genug.
Mein zweiter und letzter Tag in Polen. Ich bin unterwegs nach Auschwitz. Das ehemalige Lager liegt nur eine knappe Autostunde von Krakau entfernt. Ich war noch nie dort. Dabei ist Auschwitz ein mächtiges Symbol für den Holocaust. Es ist etwas anderes, über Orte zu lesen, als tatsächlich dort zu sein. Nach Auschwitz hat Amon Göth Tausende Häftlinge aus Płaszów geschickt, ins Gas. Hat er mit meiner Großmutter darüber gesprochen? Vielleicht nicht, aber sie muss es trotzdem gewusst haben.
Je mehr ich versuche, sie zu verstehen und zu begreifen, wer sie wirklich war, desto schwerer fällt es mir, objektiv zu bleiben. Ich verwickele mich in Widersprüche.
*
Ruth Irene Kalder, später Ruth Irene Göth, die Großmutter von Jennifer Teege, war fünfundzwanzig Jahre alt, als sie Amon Göth kennenlernte. Sie stammte aus dem oberschlesischen Gleiwitz. Ihr Vater war Besitzer einer Fahrschule und Mitglied der NSDAP . Ruth Irene Kalder hatte in Essen eine Schauspielschule besucht und ein Diplom als Kosmetikerin erworben. In ihrer Zeit in Essen hatte sie wohl eine kürzere Beziehung zu einem älteren Mann, wurde schwanger und ließ das Kind abtreiben.
In Krakau arbeitete sie als Sekretärin für die Wehrmacht. Laut Göth-Biograph Johannes Sachslehner ging ihr «der Ruf voraus, dass sie kleinen Abenteuern mit Uniformierten nicht allzu abgeneigt» war. Sie freundete sich mit dem Unternehmer Oskar Schindler an, erledigte für ihn Sekretariatsaufgaben. Oskar Schindler nahm sie schließlich an einem Abend im Frühjahr 1943 zu einem Abendessen bei Amon Göth mit.
Ruth Irene Kalder schilderte die Begegnung mit dem KZ -Kommandanten später in Interviews und gegenüber ihrer Tochter Monika als Liebe auf den ersten Blick: Amon Göth sei groß und stark gewesen, «ein wahrer Traum für jede Sekretärin». Sie habe «nichts mehr gesehen außer diesem Mann». Er sei humorvoll gewesen, intelligent und belesen, «ein Traummann, wie Clark Gable als Rhett Butler in ‹Vom Winde verweht›».
Dem israelischen Historiker und Publizisten Tom Segev erzählte Ruth Irene Kalder 1975 auch, sie habe mit Amon Göth flirten sollen, um die guten Beziehungen zu Oskar Schindler zu festigen, der ja auf die Arbeiterinnen und Arbeiter aus Göths Lager angewiesen war: «Meine Aufgabe als hübsche Sekretärin war es, sein Herz zu gewinnen, damit er uns auch weiterhin diese Arbeitskräfte zur Verfügung stellte, denn als Lagerkommandant waren ihm die Juden doch von nun an unterstellt.»
Die zierliche dunkelhaarige Frau verstand sich gut mit Amon Göth. Ruth Irene Kalder erzählte, dass sie sich schnell duzten, zum Abschied sagte Göth zu ihr: «Ich ruf dich mal an.» Als er sich nach einigen Tagen noch nicht gemeldet hatte, wählte Ruth Irene Kalder seine Nummer: «Du wolltest mich anrufen, da warte ich noch heute drauf.» Göth war überrascht und auch misstrauisch, er dachte, sie sei mit Oskar Schindler liiert und wolle ihn ausspionieren. Ruth Irene Kalder versicherte Göth, sie sei mit Schindler nur befreundet, und verabredete sich mit ihm in Płaszów.
Bald war sie Göths feste Freundin, er gab ihr den Kosenamen «Majola». Die Liebe zu Amon Göth führte sie auf das Gelände eines Konzentrationslagers, ins Haus des Kommandanten.
Göths ehemaliges jüdisches Hausmädchen Helen Rosenzweig beschrieb Ruth Irene Kalder als eine «junge wunderschöne Frau, mit dunklem Haar und einer wundervoll milchigen Haut. Sie muss Amon Göth sehr geliebt haben, denn sie starrte ihn die ganze Zeit an.»
Das weniger Liebenswerte an ihrem Amon verdrängte sie. Helen Rosenzweig sagt, Ruth Irene Kalder habe nicht wissen wollen, was im Lager geschah: «Die meiste Zeit war sie damit beschäftigt, Eigelb mit Gurken und Joghurt anzumischen, sie lag dann mit ihren Gurkenmasken herum. Sie stellte die Musik immer ganz laut, so konnte sie die Schüsse nicht hören.»
Regisseur Steven Spielberg hat Ruth Irene Kalder gezeigt, wie sie den Kopf im Kissen vergräbt, während Amon Göth schießend auf dem Balkon steht.
Ihre Mutter Agnes Kalder besuchte
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