Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
Ruth Irene einmal in Płaszów. Agnes Kalder war entsetzt, in welchem Umfeld ihre Tochter lebte, und reiste frühzeitig wieder ab.
Ruth Irene Kalder dagegen genoss das Luxusleben an der Seite des Kommandanten. Ihrer Tochter Monika berichtete sie später, dass Amon Göth und sie den Tag oft mit einem gemeinsamen Ausritt begannen. Dann schminkte sie sich ausführlich. Nach dem Frühstück gab sie den Dienstmädchen Anweisungen für das Mittagessen: reichlich Fleisch und Alkohol für Amon Göth, als Nachtisch Kuchen und Obst. Am Nachmittag ritt Ruth Irene Kalder wieder aus, hörte Platten oder spielte mit einer der anderen Partnerinnen der SS -Männer Tennis. Am Abend fanden häufig Partys statt. Gern ließen Amon Göth und seine Freundin die Rosner-Brüder, jüdische Musiker aus dem Lager, auftreten: Hermann und Poldek Rosner tauschten dann ihre Häftlingskleidung gegen elegante Anzüge und mussten Geige und Ziehharmonika für Göth und seine Gäste spielen. In feinen Kleidern aus Krakauer Geschäften gab Ruth Irene Kalder bei diesen Gesellschaften die Herrin des Hauses.
Auf einem Foto aus Płaszów posiert Ruth Irene Kalder im eleganten Reitdress vor tristen Baracken und Stacheldraht, als präsentiere sie Mode auf den Champs-Élysées. Auf anderen Bildern sonnt sie sich im Badeanzug auf der Terrasse der Kommandanten-Villa. Ein Foto zeigt sie in schickem Mantel und Hut zwischen ihrem kleinen schwarzen Schoßhund und Göths Lieblingshund, seiner gefleckten Dogge Rolf. Dieses Foto hat wohl Amon Göth von ihr gemacht.
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All die Jahre hatte ich nur ein einziges Foto von meiner Großmutter: Sie trägt darauf ein langes Blumenkleid, ihre Haare sind hochtoupiert, an ihrem Arm blitzt ein goldener Reif. Sie steht auf einer Wiese im Englischen Garten in München. Hinter ihr spielt ein Dackel, im Gras liegt ein roter Ball. Sie lächelt entspannt in die Kamera und sieht jung und fröhlich aus. Es ist ein natürliches, sympathisches Foto, ich habe es immer sehr gern gemocht.
Ruth Irene Kalder, fotografiert von Amon Göth. Mit Göths auf Menschen abgerichteter Dogge Rolf und ihrem eigenen Schoßhund
Dann fand ich ganz andere Bilder von ihr, im Buch über meine Mutter und im Internet. Diese Fotos von ihr anzuschauen, mit einer auf Menschen abgerichteten Dogge neben sich – das ist kaum auszuhalten, es ist zu verstörend. Ich setze mich vielem aus, aber diese Fotos kann und möchte ich nicht ansehen. Dass sie den Hund streicheln, dass sie ihn überhaupt in ihrer Nähe ertragen konnte. Schließlich war es kein Schoßhund, sondern ein Tier, das auf Befehl von Amon Göth Menschen anfiel.
Ich bekomme die Fotos nicht mit meinem Bild von ihr zusammen.
Um meinen Großvater trauere ich nicht. Aber um meine Großmutter. Ich trauere um den Menschen, der sie nicht war.
Sie war gut zu mir, deshalb dachte ich immer, sie wäre auch ein guter Mensch. Für ein Kind ist es unvorstellbar, dass ein Mensch, den man liebt, auch noch eine andere, eine dunkle Seite hat.
Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass meine Erinnerungen an sie nicht überschattet worden wären. Warum konnte sie nicht einfach eine ganz normale Großmutter sein – eine nette Frau, die irgendwann gestorben ist?
Ich hatte Irene bisher immer zusammen mit meinen anderen Großmüttern betrachtet: Meinen «Adoptiv-Großmüttern» – ich nannte sie auch die Bochumer und die Wiener Oma.
Die Bochumer Oma war die Mutter meines Adoptivvaters. Sie war sehr klein, hatte graue Löckchen, eine typische «Oma-Dauerwelle», und einen energischen Trippelschritt. Am liebsten trug sie Röcke und darüber eine Schürze, damit die Kleidung nicht verschmutzte. Wenn sie ausging, wechselte sie ihr Schuhwerk, kramte ihre Gesundheitspumps mit kleinem Absatz hervor, «Klack-klack»-Schuhe nannte ich sie als Kind. Wenn ich mit meiner Adoptivfamilie zu Besuch in Bochum war, begleiteten wir sie zum Wochenmarkt oder zum Metzger oder halfen ihr bei der Gartenarbeit. Ich war wenig begeistert, wenn ich Gemüse pflanzen oder Beeren pflücken sollte, aber das Ergebnis liebte ich: In ihrem Keller standen die gefüllten Gläser mit selbstgemachtem Kompott. Zum Essen wurden wir von ihr mit einem Gong gerufen.
Sie war sehr diszipliniert und ein bisschen streng, keine Oma zum Kuscheln. Aber sie hatte ein großes Herz. Obwohl meine Bochumer Oma zwei Kinder hatte – meinen Adoptivvater und seine Schwester –, sah sie es als ihre christliche Pflicht an, zusätzlich Kinder in der Familie aufzunehmen. Hilfe für
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