Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
mich in ihr wieder.
Auch ich liebe das schöne Leben. Ich fahre ein bequemes Auto, bevorzuge es, in einem großen Haus zu wohnen, und schätze Komfort. Wie meine Großmutter mag ich schöne Dinge. Von mir aus dürfen sie auch etwas mehr kosten. Aber es kommt doch darauf an: Wie hoch ist der Preis dafür?
Nach dem Krieg kam meine Großmutter mit einem sehr viel bescheideneren Leben zurecht. Ich denke, es ging ihr nicht nur um Status und Geld. Ohne Zweifel hat sie den Reichtum, den Amon Göth ihr bot, genossen. Aber ich bezweifle, dass sie nur wegen des luxuriösen Lebensstils in Płaszów blieb.
Ich glaube, dass sie in Amon Göth wahnsinnig verliebt war. Vielleicht war sie auch von der Macht fasziniert, die Amon Göth besaß. Aber da muss noch mehr gewesen sein, irgendeine Art von Verstrickung, eine Abhängigkeit, die sie alles andere ausblenden ließ.
Meine Großmutter hat später nie geheiratet, sich nie länger an einen Mann gebunden. Egal, wer nach dem Krieg kam und wer ging: Das Foto von Amon hing immer an derselben Stelle. Auch deshalb denke ich, dass die Beziehung zu Amon Göth mehr war als eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung.
Diese offenbar grenzenlose Liebe – ich kenne das Gefühl, ich bin genauso: Wenn ich jemanden liebe, dann liebe ich bedingungslos. Deshalb kann ich meine Großmutter auch verstehen. Männer, die ich liebe, erhalten von mir eine Art Freifahrtschein: Im Prinzip können sie tun und lassen, was sie wollen, sie behalten immer einen Platz in meinem Herzen. Natürlich sage ich ihnen das nicht, und es bedeutet auch nicht, dass ich ihr Verhalten immer gut finde oder toleriere. Aber die Liebe als Grundgefühl bleibt.
Mir drängt sich die Frage auf, wie ich mich an Stelle meiner Großmutter verhalten hätte. In ihr spiegele ich mich: Wäre ich diesem sadistischen Mann verfallen? Eine eindeutige Antwort kann ich nicht geben, aber schon bei dem Gedanken, dass jemand seine Angestellten mit dem Ochsenziemer schlägt, dreht sich mir der Magen um.
Meine Mutter sagte zur Entschuldigung meiner Großmutter: Vom Schlafzimmer der Göth-Villa konnte man gar nicht bis zum Lager sehen. Und Juden im Lager sollen über meine Großmutter gesagt haben: Sie ist eine von uns. Sie hieß ja Ruth, ein jüdischer Name.
Soll ich das glauben? Oder bin ich nur froh, dass ich eine Entschuldigung habe? Ich bin gefangen in einem inneren Zwiespalt: Einerseits will ich das schöne Bild von meiner Großmutter aufrechterhalten. Auf der anderen Seite möchte ich die Wahrheit wissen. Während meines Studiums habe ich Quellen gesammelt, sie verglichen. Am Ende zählen nicht die Mutmaßungen, sondern die belegbaren Fakten. Auch über meine Großmutter habe ich viel Material zusammengetragen, um mir ein besseres Bild machen zu können.
Ich bin kein Richter, es steht mir nicht zu, über meine Großmutter zu urteilen. Ich möchte sie nur so sehen, wie sie wirklich war.
Als ich las, dass sie wohl versucht hat zu helfen, war ich zuerst erleichtert und dachte: Sie war nicht wie mein Großvater, vielleicht stand sie auf der Seite der Guten. Vor den Opfern schäme ich mich heute für diesen Gedanken.
Ich stellte mir die Szene mit den Dienstmädchen noch einmal bildlich vor: Meine Großmutter, die neben Helen in der Küche steht und dieser Frau, die jede Sekunde um ihr Leben fürchten muss, sagt: Ich würde dir ja helfen, wenn ich nur könnte. Darin liegt auch eine große Kälte. Ein Stück ist sie auf Helen zugegangen, aber letztlich hat sie sie doch im Stich gelassen.
Sie hat das Leid der Dienstmädchen gesehen, sie war sich bewusst, dass sie sich in einem Konflikt befand. Genau das ist das Fatale: Sie konnte Richtig und Falsch unterscheiden. Sie hätte die Wahl gehabt. Aber sie war zu egoistisch, um diesen inneren Konflikt an die Oberfläche zu holen.
Sie hat andere Menschen bedauert und auch einigen geholfen. Aber reicht das? Beileibe nicht. Das kann sie meinetwegen hundertmal gemacht haben, tausendmal. Aber letztlich hat sie nie eine Konsequenz daraus gezogen. Sie war sich selbst die Nächste.
Ich denke, dass es einen Unterschied zwischen mir und meiner Großmutter gibt, einen sehr gravierenden: Ich könnte nie mit einem Mörder zusammenleben, würde an meiner Seite keinen Menschen ertragen können, der andere Menschen quält.
*
Wenn Jennifer Teege von ihrer Großmutter spricht, wird ihre Stimme weich, ihre Augen strahlen.
Sie schwankt zwischen Ablehnung und Zuneigung, Angriff und Verteidigung. An der Großmutter arbeitet
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